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Sündenbock und Opferlamm

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Mit dem Sündenbock ist der Menschheit etwas Großarti-. ges eingefallen. Man kann Gemeinheit und Verbrechen, Schuld und Sünde transferieren, also einem anderen aufhalsen. Der Mensch als Schuldbeladener gefällt sich nämlich nicht. Das kränkt seine Eitelkeit. Eine weiße Weste kleidet ihn besonders gut. So schminkt er sich als guten, moralischen, anständigen, vielleicht sogar religiösen Menschen.

Die Beladung des Sündenbocks mit den eigenen Sünden geschieht natürlich frei von so altmodischen

Gefühlen wie Scham und Betroffenheit, Reue und Zerknirschung. Und so rührende Katechismusideale wie das Bedürfnis nach Wiedergutmachung oder Sinnesänderung stellen sich schon gar nicht ein. Schließlich trägt ja der Sündenbock die Sünden auf jeden Fall fort. - Wichtig ist nur, für den Nachschub an Sündenböcken zu sorgen - am besten mit einer eigenen Sündenbockzucht. Man muß natürlich wissen, wie so ein „g'schmackiger” Sündenbock aussieht. Der Supersündenbock ist jemand, der gar nichts mit den in

Frage kommenden Sünden zu tun hat, ein Unbeteiligter, Unschuldiger, am besten auch noch ein Wehrloser also in Österreich ein Ausländer. Nur sollten die einheimischen Sündenbockkonsumenten ehrlicherweise auch das biblische Bitual praktizieren. Also ein Ausländer kniet auf einem öffentlichen Platz nieder und nacheinander treten die Österreicher und Österreicherinnen vor ihn hin, legen ihm die Hände auf den Kopf und sagen: Du bist schuld, daß ich keinen Arbeitsplatz finde. Du bist schuld, daß ich nicht in Frühpension gehen kann. Du bist schuld, daß meine Frau davongelaufen ist. Du bist schuld, daß ich keinen Lottosechser gewinne. Du bist schuld, daß unsere Schispringer nicht gewinnen. Je absurder, desto besser. Und ein deutscher Privatsender könnte zum Abschluß der Zeremonie ein „Sün-denbockballett” als Zirkusnummer inszenieren. Wenn sich jetzt noch herausstellen sollte, daß der Sündenbock eh ein Opferlamm ist, das sich freiwillig zur Verfügung gestellt hat, dann stünde einem besinnlichen Karfreitag nichts mehr im Weg.

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