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Böser Wagner

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Es ist oft so, daß eine Künstlerbiographie aus leidenschaftlicher Bewunderung geschrieben wird, ein besseres Motiv aber ist wissenschaftliches Interesse. Ludwig Marcuse ist bereits hier originell: er haßt Wagner.

Moralist, der er ist, verdammt er ihn, weil Leben und Werk keine Einheit bilden, weil der Mensch Wagner weit hinter seinem Werk zurückbleibt.

Wenn der Biograph Wagner nicht mag, ist das seine Sache; wenn er aber beweisen will, daß seine Musik schlecht ist, wirkt er keineswegs überzeugend: „Nur wer Gehörnerven so dick wie Schiffstaue hat, geht aus diesem Lärm heil hervor."

Wo die seriöse Biographie enden muß, kann nur Freiheit walten — bestenfalls eine dichterische. So sind Marcuses psychologische Einfühlung — mit hellsichtigen Unterstellungen — seine bildhafte Ausdrucksweise, der trockene Humor voll bitterer Skepsis und sein reiches Wissen sicherlich faszinierend, aber man muß sich dessen bewußt bleiben, daß Marcuse ja kaum an jemandem gute Haare läßt, heiße er Schopenhauer oder Nietzsche, Marx, Liszt oder Heine.

Einige Schlampereien könnten in der Neuauflage bereits getilgt worden sein: So besaß nicht die Fürstin Sayn-Wittgenstein die vielen Leibeigenen, sondern ihr Gatte, der seine ehebrecherische Frau ganz gefährlich beim Zaren denunziert hat, und zweitens vermehren sich diese Leibeigenen von Seite 105 auf 110 um 20.000 Seelen.

Das hohe Lesevergnügen an diesem brillant geschriebenen Buch sollte sich allerdings auch der gestandene Wagnerianer bewahren: Es heißt, über der Sache zu stehen.

DAS DENKWÜRDIGE LEBEN DES RICHARD WAGNER. Von Ludwig Marcuse. Diogenes Verlag AG, Zürich. 303 Seiten, Tb., öS 97,30.

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