6842237-1975_50_13.jpg
Digital In Arbeit

„Bürger Schippel“

Werbung
Werbung
Werbung

Eine der Komödien „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ von Carl Sternheim fand in Innsbruck eine exemplarische Realisierung. — Der Reiz der Dramen dieses Dichters liegt nicht nur in der eigenwilligen Sprache, die fast einen surrealen Charakter hat, und in der Kunst, sich der Mechanismen der traditionellen Komödie souverän zu bedienen, sondern wohl vor allem in der Art, wie Sternheim das Komische durchaus mit tragischen Elementen vertieft und so der Aussage dienstbar macht.

„Bürger Schippel“, eine der meistgespielten Komödien des Dichters, weist die Problematik der Klassenmentalität am Beispiel des Bürgertums um 1910 auf, dessen Angehörige ihre Würde hoch zu schätzen behaupten, sie aber etwa um den Erfolg in einem Sängerwettstreit aufzugeben bereit sind. In diese dekadente Gesellschaft dringt der Bastard und Proletarier Schippel ein, der rasend vor Haß auf die Bürger, gleichzeitig aber süchtig nach Besitz und Anerkennung, sich sehr bald des zweifelhaften Ehrenkodexes dieser Klasse bedient.

Regisseur Oswald Fuchs, der schon in Berlin und Bonn Erfahrungen mit Sternheim sammelte, versuchte nicht, das Stück durch einen gewaltsamen Zeitbezug zu aktualisieren. Die sehr sorgfältig durchgeformte Inszenierung, glücklich ergänzt durch die sparsamen Bühnenbilder von Peter Mühler und die dezenten Kostüme von Pia Montecuccoli, verdeutlichte die auch heute gültige Aussage des Stücks, da gerade, die treffende Charakterisierung dieser der Vergangenheit angehörigen Standesmentalität die Abhängigkeit des Menschen von gesellschaftlichen Zwängen erkennen ließ. Abgesehen von dem künstlerischen Gespür, mit dem der Regisseur die Komik entfaltete (etwa in der Zylinderpantomime während der Düellszene), gelang ihm in der Arbeit an der Sprache mit den Schauspielern Erstaunliches: Selten wurden hier in Innsbruck Texte dieses Schwierigkeitsgrades so gut vermittelt. Differenziert brachte man jede Nuance der eigenwilligen Texte zum Ausdruck: Sternheims Lakonik, sein bewußt falsches Pathos und seine ebenso bewußten Klischees. Walther Skotton in der Titejrolle spiegelte Geducktheit, Aufbegehren und Emotion dieses wilden Emporkommenden hervorragend. Auch das übrige Ensemble trug durch wirklich überdurchschnittliche Leistungen zum Erfolg der Aufführung bei: Volker Kry-stoph als Hicketier, Doris Goldner als seine Frau, Liane Wagner als Thekla Hicketier, Günther Lieder und Gottfried G. Dahlen als Spießbürgerpaar Krey und Wolke und Gerhard A. Matten als Fürst.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung