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Das Dorf voll Weihnachtsmusik

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Nur in einer einzigen Nacht des Jahres unterbricht das Dorf seine nächtliche Ruhe: in der Christnacht. Gegen halb zwölf wird es lebendig auf den Wegen und Straßen des Dorfes, wenn sich die Gemeinde zur Christmette versammelt, zahlreicher als sonst, wie zu allen heiligen Zeiten. Dann bietet das Dorf einen Anblick, wie er sonst nur in der Stadt zu sehen ist: eine Menge von Menschen, mitten in der Nacht unterwegs.

Daß sie auch nachts nicht zur Ruhe kommt, ist ein Kennzeichen der Stadt. Die stille Nacht des Dorfes bietet ein anderes Bild als die ununterbrochen pulsierende Stadt. Die Straßen sind ruhig, die Fenster sind finster, und wer da und dort noch zu später Stunde unterwegs ist oder im Auto fährt, kehrt heim, um sich gleichfalls zur Ruhe zu begeben.

Alles schläft, außer bei Katastrophen — und in der Christnacht. Doch wird in der Christnacht die Ruhe nicht gestört, sondern gefeiert. Vom Kirchturm her ist ein

Bläserchor zu hören, der einsetzt, wenn man sich auf den Weg macht, und der mit harmonischen Weihnachtsliedern die Kirchgänger in die Mette begleitet.

Daß die „Stille Nacht“ von Bethlehem nicht lautlos verging. steht schon in der Bibel. Der Gesang der Engel, das „Gloria in ex-celsis“, ist die erste Meldung jener Frohen Botschaft, die bis in unsere Tage nicht verklingt.

„Vom Himmel hoch“ verkünden die Bläser vom Kirchturm, das Dorf ist voll Weihnachtsmusik. Und waren es am Karfreitag die trockenen Holzhämmer, die vom Kirchturm her durch ihr Ratschen den Tod des Herrn verkündeten, als klopften sie schaurig an das Holz des Kreuzes, so verkündet die weihnachtliche Musik der Turmbläser, daß das Licht in die Welt kam.

Auf dem Weg zur Kirche ist auch der Friedhof zu sehen, voll von Lichtern. An jene, die Weihnachten nicht mehr mitfeiern können, weil ihnen bereits das ewige Licht leuchtet, haben die Angehörigen am Heiligen Abend mit angezündeten Kerzen gedacht. Anders als zu Allerseelen macht der von Wachslichtern erhellte Friedhof in der Christnacht keinen Eindruck von Trauer, sondern von festlichem Frieden.

Das ewige Licht, das den Toten leuchtet, ist das gleiche Licht, das in die Finsternis kam. Zeugnis von diesem Licht gibt die Feier der Mette. Das Dunkel wird hell, die Nacht wird zum Tag, in dieser Nacht schläft selbst der Friedhof nicht.

Die in Bethlehem verkündete große Freude ging nicht sang- und klanglos vorbei, sie tönt weiter in der stillen Nacht des Dorfes, wenn die Turmbläser die Frohe Botschaft der Heiligen Nacht hinausposaunen in die stille Nacht des Dorfes.

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