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Tag und Nacht

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In der Zeit der länger werdenden Tage wird es uns wieder bewußt — diesmal anders als in der müden Spätzeit des Herbstes — wir brauchen das Licht, die Wärme, die Sonne. Heute wissen wir schon mehr über die Zusammenhänge zwischen Stoffwechsel und Lichteinwirkung, wir verstehen leichter, weshalb die Zeit der langen Nächte viele Menschen in Depressionen und Lebenskrisen drängt, weshalb wir im Frühling geradezu Wiederaufleben.

Nacht, Finsternis und Kälte bedrohen unsere Vitalität — das ist die eine Seite. Die andere zeigt die Faszination der Nacht: die Zeit der Stille, des Geheimnisses, des Träumens, die Zeit des Kräfte-sammelns, der Geborgenheit, die Zeit der Heilung, des Trostes und der Liebe.

Wer von der Symbolik der Nacht spricht, redet von mehreren Rächten“, meint neben der täglichen Nacht auch die Nacht des Jahres, die Nächte der Lebenskrisen, der Schuld, der Trauer, der Einsamkeit, ja sogar die Nacht des Todes. Alle Nächte dieser Art sind ambivalent, bedrohlich und hoffnungsvoll, gefährdend und herausfordernd zugleich.

Die alte Uberlieferung des christlichen Gottesdienstes kennt die Bedeutung von Tag und Nacht und wählt bewußt die passende Zeit für die jeweilige Feier. Besonders deutlich wird dies bei den beiden Hauptfesten. Sowohl Ostern als auch Weihnachten wird in der Nacht gefeiert. Die Mette (lat. Matutin) verstärkt die Empfindung, mit großen Festen eigentlich ein Geheimnis zu feiern, dessen Wesen in der Stille und im Dunkel der Nacht eher begriffen werden kann, als im hellen Licht des lauten Tages. Schon die biblischen Texte berichten von der Geburt Jesu in der Nacht und seiner Auferweckung bei Anbruch des Tages.

Für die Feier der Eucharistie gibt es zwei Traditionen: Die des A bends mit der Erinnerung an das Letzte Abendmahl — und die des Morgens mit der Erinnerung an die Auferstehung. Beiden Uberlieferungen liegt ein tieferer Sinn zugrunde. Denn der Morgen ist die Zeit der neuerwachten Aktivität, der Abend aber die Zeit der Ruhe und Besinnlichkeit.

Das sollte auf die Gestaltung unserer Gottesdienste Einfluß haben. Der Vorabend gehört schon nach jüdischer Vorstellung zum folgenden Feiertag. So wurde auch im christlichen Brauchtum mit Vigil und der sogenannten ersten Vesper am Vorabend begonnen, das Fest oder den Sonntag zu feiern. Deshalb ist es auch keine tolerierte Ausnahme, sondern durchaus sinnvoll, den Sonntag mit der Vorabendmesse zu beginnen.

Elfter Teil einer Serie über Zeichen und Symbole im Jahreskreis der Kirche

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