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Der erste Tag

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Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag: Als das Licht in die Welt gekommen war und von der Finsternis geschieden wurde. Dieses Licht, heißt es weiter am Anfang der Schöpfungsgeschichte, war gut und hieß fortan einfach Tag. Längst, bevor die Erschaffung der Gestirne vollzogen war, gab es bereits den Tag.

Daran sollten wir uns am Ostermorgen erinnern lassen. Erst, als die Nacht sich ihrem Ende zuneigt, stehen die Frauen am Grabe Jesu. Solange die Dunkelheit dauert, regiert der Tod. Erst mit dem Tag beginnt wieder Leben, das für immer verbürgt ist: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Tag und Nacht. In der Finsternis ragen Kreuze gen Himmel. Erst der Tag kann erweisen, ob sie leer sind. Solange es dunkel ist, läßt sich nicht ausmachen, ob der Felsen vor oder neben dem Eingang zur Grabeshöhle liegt.

Darum feiern Christen nicht mehr den siebenten Tag, den Sabbath, sondern den ersten: wieder werden Licht und Finsternis, Leben und Tod voneinander geschieden. Weder kann nun mehr die Nacht zum Tage noch der Tag in Nacht verwandelt werden. Tod und Leben sind nicht mehr mit fliießenden Grenzen, sondern klar und unübersehbar voneinander geschieden. Das Leben behielt den Sieg — es hat den Tod bezwungen. Was die Frauen an Todesgeschäften besorgen wollten, ist plötzlich überflüssig. Da ist niemand mehr, der gesalbt und für den ewigen Schlaf, den Bruder des Todes, hergerichtet werden muß. Da ist nur noch eine Stimme: gehet hin und sagt es den Jüngern, daß er auferstanden ist.

Der erste Tag der Welt ist wieder geboren. Licht und Finsternis werden aus dem mythischen Halbdunkel der Vorzeit plötzlich herausgerissen und zu Wegzeichen der Zukunft. Wer künftig Licht sucht, braucht den Glauben daran, daß die Finsternis mit ihren Todesschatten nicht nur

wi'Siti' ftau XOJ IIS* ä**t /,:!JiiV einmal innerhalb von 24 Stunden, sondern in der Auf erweckung Christi von den Toten ein- für allemal überwunden und besiegt ist. Ostern ist nicht nur eine Wiederholung des ersten Tages der Schöpfung, sondern ein Schritt über ihn hinaus.

Niemals hat sich die Christenheit darum mit einem stenographischen Protokoll dessen, was am Ostermorgen geschah, zufrieden gegeben. Die Berichte weichen, wie jeder weiß, sogar erheblich voneinander ab. Die neue Schöpfung erschöpft sich nicht in nachweisbaren Tatbeständen, sondern schafft diese nachweisbar in dem Leben derer, die mitten in der vom Tod gezeichneten Welt im Glauben an den Auferstandenen leben. Nicht Ostern bedarf eines Beweises, sondern der Glaubenserweis derer, die mit Christus auferstanden sind und in einem neuen Leben wandeln, zeugt für sich selbst. Auf der Suche nach der Wahrheit von Ostern können wir uns nur von der Wahrheit des Osterglaubens überzeugen lassen.

Diesen ersten Tag kann man daher nicht für sich allein oder auch nur draußen in der prangenden Frühlingsschöpfung erfahren. Ostern ruft zum gemeinsamen Lied, zur Anbetung und zur Freude. Selbst die Predigt könnte getrost einmal fehlen — zumindest so lange, als sie nicht über die Ausbreitung der Probleme hinauskommt, die wir mit den Ostertexten haben. Statt dessen sollten wir wieder, wie es lange Zeit geschah, die Täuflinge, Junge und Erwachsene, im Oster-gottesdienst in unsere Mitte, deren Mittelpunkt der Auferstandene selbst ist, aufnehmen.

Ostern erweist, wie vor allem Christen der Märtyrerkirchen Von Anfang an bis in unsere Zeit anschaulich machen, daß der Glaube so lange lebendig bleibt, als in seiner Mitte der zum Leben erweckte Herr wohnt. Alle Nacht, auch die der Verfolgung, auch die der Gleichgültigkeit, wandelt-sich in ihm zum Tag.

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