6869249-1978_17_02.jpg
Digital In Arbeit

Orthodoxe Ostern

Werbung
Werbung
Werbung

Es sind nicht die festlich roten Eier, Osterkuchen und weißen Pas'cha-Py-ramiden, die das östliche Osterfest ausmachen, auch wenn sie ebenfalls dazugehören und in der Kirche bescheiden im Hintergrund auf den Moment warten, wo sie nach dem feierlichen Nachtgottesdienst geweiht werden sollen. Selbst die vielen Kerzen sind es nicht, die den Raum erhellen und von den Gläubigen während der festlichsten Teile der Feier in Händen gehalten werden. Mehr schon sind es die Ikonen, heute von den Kunstkennern hoch geschätzt, an sich aber nur Mittel zum Zweck der Verinnerli-chung. Sie sind es, die in ihrer stillen .Größe auf den Ernst der Handlung hinweisen.

Zu Beginn äußert sich in den aca-pella gesungenen Liedern ja noch die Trauer über den Tod Christi. Doch dann öffnen sich die Kirchentore und die Gemeinde zieht mit ihren Fahnen und Kerzen in das Dunkel der Nacht hinaus, um während der Prozession „Christus ist von den Toten auferstanden, mit dem Tod hat er den Tod besiegt“ zu singen, erst zaghaft, dann

immer überzeugter, bis die Kirchentür sich wiederum öffnet und der Priester, lichtumflutet, vor ihr erscheint, um laut und freudig dreimal in die Nacht hinaus zu verkünden, daß Christus wahrhaftig auferstanden ist.

Es ist wie ein Freudentaumel, der die Menschen nun erfaßt, und selbst der Zweifler und Andersgläubige kann sich dieser Freude kaum entziehen: plötzlich ist das Rätselhafte einfach und selbstverständlich Wirklichkeit. Für eine Weile sind alle Menschen wirklich Brüder die sich beim Oster-kuß, ob arm oder reich, ob vornehm oder einfach, jung oder alt, als eine große Familie „Christ ist erstanden!“ „Wahrhaftig auferstanden!“ zurufen.

Lange, allzulange wird diese Stimmung nicht anhalten, vielleicht einen Tag oder zwei Tage, vielleicht auch nur Stunden. Seien wir dankbar, wenn ein Fünkchen dieser österlichen Liebe und Freude in unseren Herzen hängen bleibt und uns duldsamer zu den Fehlern der anderen und unseren eigenen macht. Denn Gott liebt uns so wie wir sind, für uns als solche ist Christus in den Tod gegangen. Wir sollten dies in-

mitten des aufreibenden und gehetzten Alltags nicht vergessen und hin und wieder einen Moment der Stille und Besinnung einlegen können.

Könnten wir das öfter, dann würde es um uns weniger kriseln, Ärger und Reizbarkeit würden von uns abfallen, und die Ärzte müßten weniger Beruhi-gungs- und Schlafmittel verschreiben. Vielleicht könnten wir mit der Zeit dann auch wagen, uns (obwohl wir nicht jeden Sonntag zur Kirche gehen und über manche kirchliche Vorschriften etwas freier denken) mit dem belastenden Namen „engagierter Christ“ bezeichnen zu lassen. Aber dann müßte dies in jedem Moment unseres Lebens fühlbar sein. Werden wir stark genug sein? Jedenfalls möchten wir Ihnen allen in diesem Sinne, und nicht nur in der Nacht vom 29. auf den 30. April, in der die Russen Ostern feiern, zurufen: „Christos woskres - vo istinu voskres“ - Christ ist erstanden, er ist in Wahrheit erstanden.

In der FURCHE ist vor einigen Jahren einmal ein Artikel erschienen, der sich eingehend mit dem julianischen und gregorianischen Kalender beschäftigte und erklärte, weshalb Ostern in Ost und West nicht immer zusammenfällt. Übrigens gibt es jetzt ja schon Tendenzen, Ostern überhaupt zu einem unbeweglichen Fest zu machen, also einen festen Termin anzusetzen. Auch sind Verhandlungen im Gange, sich darin mit der Ostkirche zu einigen. Sollte, trotz sicher stichhaltiger historischer und kirchlicher Hindernisse, hierin eine Einigung zustande kommen, so wäre es wiederum ein großer Erfolg der ökumenischen Einigungsbestrebungen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung