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Das ewige Fernweh

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Menschen, die zum Ende unseres Jahrhunderts die ent-. wickelten Länder bewohnen, reisen gerne und oft zum Vergnügen. Früher war das nicht so. Reisende waren entweder Pilger, Kaufleute und Soldaten, oder ganz einfach durch Hunger, Umstürze und ähnliches Vertriebene. Allein mit diesen Feststellungen ist schon das Interesse an der Psychologie sowie Kulturgeschichte des Reisens erklärt, mit der „Die Erfahrung der Ferne" von Eric Leeds rechnen kann. Am Beginn steht die Funktion der Mobilität in der Menschheitsgeschichte.

Abreise, Passage und Ankunft werden getrennt behandelt und in ihren verschiedenen Aspekten durch das Schicksal bekannter „Reisender" belegt. Hier reicht das Spektrum von Adam und Eva (als Prototyp aller Vertriebenen) über Gilgamesch (Reisen als Pro-

be) bis zum kulturverdrossenen Engländer Kinglake (zu den Grenzen westlicher Zivilisation), und später zu den sogenannten Expeditionen während des 19. Jahrhunderts, wobei dem iden-titätsverwandelnden Aspekt jedes Reisens besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird; nach Kolumbus zitiert: je weiter man reist, umso mehr lernt man. Denn die Merkmale des Reisenden sind schließlich Freiheit, Objektivität, Allgemeinheit und Abstraktheit. Dazu kommt die, geschlechtsspe-zifisch immer noch überwiegende, Seßhaftigkeit der Frauen und Mobilität der Männer, welche zuletzt zu Komplikationen nach einer jeweiligen Ankunft führen muß.

Der zweite Teil des Buches ist der „philosophischen" Reise gewidmet als einer Bewegung zu den Ursprüngen der Kultur, die wieder verwandt ist mit den rituellen Reisen, die einer Identitäts-fmdung dienen, sowie den einfa-

chen Pilgerreisen, weil solche in den „philosophischen" Reisen ganz einfach ihren Ursprung haben. Hierher gehören vor allem die Reisen während vergangener Jahrhunderte zu den Ursprungsländern der Zivilisationen, nach Ägypten, Griechenland und so weiter. Zeitlich folgen die ebenfalls dazugehörigen Forschungsreisen. Das erkennende Sehen ist wichtig, sonst nichts. Beide münden in die Studienreisen, was im 18. Jahrhundert zum neuen Beruf des reisenden Privatlehrers höherer Söhne Anlaß gegeben hat. Gleichzeitig zeigt der Autor das Entstehen einer spezifischen Reiseliteratur als Niederschlag jedes „philosophischen" Reisens.

die erfahrung der FERNE

Reisen von Gilgamesch bis zum Tourismus unserer Tage. Von Eric J. Leed Deutsch von rlans H. HarborL Campus Verlag, Frankfurt 1993. 332 Seiten, öS 531,-.

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