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Das Hohelied

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Die Ambivalenz der Texte des Hohenliedes Salomonds (Hochzeitsund Liebeslieder oder Ekklesia- und Marienmystik) mußte in den Werken der Renaissance (Palestrina, Lech- ner), des Barock (Schütz), ebenso wie in den Werken der Romantik und der Moderne (Bruckner, Thomas Christian David, Heinz Kratochwil) klar zu Tage treten. Bei Palestrina glüht noch mittelalterliche Mystik in geschlossener Einheit des Wortes und des Melos in letzten Strahlen in eine- neuaufbrechende Zeit auf. Der Eintritt der deutschen Renaissance in den Garten des Hohenliedes mit Leonhard Lechner (1550 bis 1606), dem Katalysator des musikalischen Geschehens Italiens, Südtarols, Nürnbergs-und Württembergs, konnte die humanistische Komponente des 16. Jahrhunderts mit ihrer sehr vitalen Grundsubstanz nicht mehr in Kontrolle • bringen. Der Versuchung, die buchstäbliche Erklärung des Hohenliedes eines Theodor von Mopsuestia wieder aufzunehmen, erlag der württembergische Hofkapellmeister, wurde sie doch durch seinen Zeitgenossen, den jüdischen Bibelforscher Sebastian Castellio, nahegelegt. Und das Oahticum Oamitico- rum erklang als ein „gar weltlich Lied“, als ein „Ricercar“ von einzigartiger Schönheit! Heinrich Schütz’s „Magnificat“ rückt den liturgischen Charakter des Marianischen Lobgesanges wieder in den Vordergrund und bildet den Brückenpfeiler zu Anton Bruckner, der die Zwischentöne des geistlich -weltlichen Textes im „Tota pulchra es“ im Sinne Palestinas hörbar macht Es ist Glut aus den Urgünden christlicher Mystik beim „Musikanten“ Gottes, welche die Vertreter der Moderne auch mit den Mitteln kunstvoll geführter Imitatorik und aufgesetzter Sprechakzente (David Kratochwil) nicht anfachen können. Musikalische Be gegnung wird Bewegung im rein naturalistischen Sinn!

Die Geschicke der Verwandlungen des Hohenliedes von der Renaissance bis zur Gegenwart im Brahmssaal des Wiener Musikvereins aufleuch- ten zu lassen, war ein Lichtfunke im Musikkalender einer Großstadt, den man lieber in einer Kirche hätte realisieren sollen. Xaver Meyer dirigierte — von ihm auch der Gedanke zur festtäglichen Matinee —, und der Wiener Akademie-Kammerchor ließ sich zu einer begeisternden Darbietung anfeuem. Die Intonationsmängel im „Tota pulchra es“ nahmen wir nicht zur Kenntnis.

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