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Die Guten im Dschungel

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Während einer „großen Amazonas-Expedition“ durch Österreichs Wälder nähert sich eine „Pfadfinder-Patrulle“ einem „Amazonas-Zufluß“, sprich einem kleinen Bach, der „von Piran-has wimmelt“. „Jede Berührung mit dem Wasser“, so dei Arbeitsbehelf 1971/72 der Pfadfinder Österreichs, „wäre tödlich Das andere Ufer ist Sumpf, nur an einer Stelle ist Fels. Springer wäre zu gefährlich, aber es hängt eine Liane (Seil) herunter, die jedoch zu kurz ist.“

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Während einer „großen Amazonas-Expedition“ durch Österreichs Wälder nähert sich eine „Pfadfinder-Patrulle“ einem „Amazonas-Zufluß“, sprich einem kleinen Bach, der „von Piran-has wimmelt“. „Jede Berührung mit dem Wasser“, so dei Arbeitsbehelf 1971/72 der Pfadfinder Österreichs, „wäre tödlich Das andere Ufer ist Sumpf, nur an einer Stelle ist Fels. Springer wäre zu gefährlich, aber es hängt eine Liane (Seil) herunter, die jedoch zu kurz ist.“

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Die Pfadfinder müssen nun den richtigen Knoten wählen, um die herabhängende Liane (Seil) mit einem anderen Stück Liane (Seil) zu verbinden. Ein falscher Knoten würde sich unter der Belastung eines Pfadfinders lösen. Oder er ließe sich nachher nicht mehr aufmachen. Auf den richtigen Knoten kommt es an.

Knoten spielen im Dasein der Pfadfinder eine wichtige Rolle, ebenso wie das Kartenlesen und das Spurensuchen, aber auch das Feuermachen im Freien ohne Gefahr für die Umgebung und das Kochen ohne Topf im Freien.

Später muß sich „die Patrulle ... auf einen hohen Baum retten“, denn: „Eingeborene (Kopfjäger!) durchstreifen den Urwald“, und dabei darf „keine Zeit vergeudet werden, schon hört man die Kopfjäger im Gebüsch, wer es nicht mehr schafft, wird massakriert.“

Auf diese Weise erfahren die Wölflinge eine ganze Menge über Leben und überleben im Dschungel, nicht unbedingt ebensoviel über die Gewohnheiten seiner menschlichen Bewohner, etwa der Kopfjäger, und über Möglichkeiten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, statt auf einen Baum zu flüchten.

Aber zum Image des Pfadfinders gehört nicht nur seine typische Adjustierung, zuoberst der Hut, und die von den Pfadfindern gepflegte und mitunter forcierte Naturverbundenheit, sondern auch die vielzitierte gute Tat. Die Pfadfinderbewegung begnügt sich aber keineswegs mit einer kleinen guten Tat pro Tag und Mann, sondern setzt gute Taten auch in größerem Stil. Zum Positivsten, was die Pfadfinderbewegung zu bieten hat, zählt zweifellos „PTA“, „Pfadfinder trotz allem“: Eine Organisation gehandikapter Pfadfinder. Ihr gehören Querschnittgelähmte ebenso an wie Spastiker, Kinderlähmungsgeschädigte, blinde und geistig behinderte Kinder. Viele „PTA“-Mitglieder leben seit vielen Jahren in Heimen oder besuchen Sonderschulen. In der Waldschule der Pfadfinder Österreichs im Was-sergspreng in der Nähe Wiens kommen Pfadfinder dieser Gruppe regelmäßig, normalerweise alle zwei Jahre, zu einem Lager zusammen, dessen therapeutischer Effekt nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Kartenlesen, Spurensuchen, Knotenknüpfen, Feuermachen — auch jene, die der Pfadfinder-Ideologie sonst reserviert gegenüberstehen, können nur anerkennen, daß PTA seinen Mitgliedern eine Welt erschließt, die ihnen sonst möglicherweise lebenslang verschlossen geblieben wäre und Chancen zur Bewährung und Selbstbestätigung eröffnet, die ihnen die Heime nicht bieten können. Eine Woche lang werden sie einmal nicht verwöhnt, nicht gepflegt, nicht bedient, sondern herausgefordert, sich und der Welt zu zeigen, was sie trotz allem können. Ein rundes Viertel der insgesamt • etwa 200 österreichischen PTA-Pfad-finder kam heuer im Wassergspreng zusammen. Um einen Teil von ihnen kümmert sich niemand — wochenlange Briefbombardements waren in einzelnen Fällen notwendig, bis sich ein Elternteil aufraffte, die schriftliche Erlaubnis zur Teilnahme abzuschicken — Grund dafür regelmäßig nicht Besorgnis, sondern Gleichgültigkeit. Ein Pfadfinder konnte nicht teilnehmen, da weder ein Ja noch ein Nein des Elternhauses kam.

Ohne diesen Hintergrund mag das Treiben im Wassergspreng unauffällig und etwas naiv erscheinen: Sport nach Maßgabe individueller Möglichkeiten, teils auf Krücken oder im Rollwagerl. Ausleben lange niedergekämpften Fernwehs durch Identifikation mit fremden Ländern — jedes Zelt repräsentiert ein meist südliches Land, dessen Einwohner spielerisch, Spanien zum Beispiel mit einem „Stierkampf auf Rädern“, dargestellt werden. Ausflüge — oft unter großen Schwierigkeiten. Geländespielen. Stockwerfen, Steinstoßen, Bogen- und Dosenschießen, Hindernislaufen, und im übrigen alles, was die eigene Selbständigkeit fördert, was schlummernde Leistungsfähigkeit aktiviert. Aber das Musische wird hier besonders betont, stärker als bei den übrigen Pfadfindern — auch eine Theateraufführung gehört zum Programm.

Hier gilt besonders, was auf die gesamte Pfadfinderbewegung zutrifft: Ihr Drum und Dran entspricht einem sehr elementaren Bedürfnis junger Menschen auf einer bestimmten Altersstufe. Romantik, Leistungsverlangen und Autorität sind für viele junge Menschen attraktiv.

Das Denken der Pfadfinder, ihr geistiges Fundament, wird häufig als autoritär, ja militant verdächtigt. Der Ursprung der Pfadfinder war tatsächlich alles andere als pazifistisch; Lord Baden-Powell, Teilnehmer vieler britischer Kolonialfeldzüge, dachte vorwiegend in den Kategorien Disziplin, Tauglichkeit, Härte, Autorität.

Photo: Votav

Und Autorität sowie Autoritäten ' und alles, was nach Autorität

■ schmeckt, sind für den Pfadfinder t auch heute nicht demontiert, zerstört l oder wenigstens in Zweifel gezogen und relativiert. Autorität entspricht . in pfadfinderischer Sicht nicht nur einem Bedürfnis derer, die sie ausüben, sondern auch jener, die sich . ihr unterordnen: Der junge Mensch t will geführt werden, der Erwachsene . bleibt dem treu, was er in der Ju-. gend gelernt hat. In der Welt des

■ Pfadfinders behaupten Oben und

■ Unten ihren Platz als hierarchische, damit freilich auch als soziale Kategorien.

Aber auch in manch anderer Hinsicht lebt der Pfadfinder in einer vom Fortschritt partiell ausgesparten Welt. So hat in einer Gesellschaft, die die letzten Dschungel ihrer „natürlichen“ Umgebung zerstört und selbst immer mehr zum Dschungel wird, der Dschungel für den Pfadfinder seinen alten, romantisch getönten Stellenwert behalten. Der Pfadfinder hält Kiplings Dschungelbuch hoch — und alles, was sich an ursprünglichen Assoziationen um das Wort Dschungel rankt: Abenteuer, Freiheit, Bewährung.

Eines Tages könnte an die Pfadfinderbewegung die Herausforderung herantreten, den jungen Menschen in einem bestimmten Alter den Übergang zu einer • etwas kritischeren Haltung zu erleichtern. Von außen hat man heute den Eindruck, daß — ungeachtet alles Positiven, das keineswegs in Frage gestellt werden soll — vielen Pfadfindern in einem späteren Lebensalter erhebliche Schwierigkeiten bei der Loslösung von einem allzu autoritätsfixierten Weltbild erwachsen.

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