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Weltweite Jugenderziehung

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Das schwierigste Problem einer gesunden Volksentwicklung ist das der halbwüchsigen Jugend. In dem zum Jüngling heranreifenden Knaben paaren sich zwei Elemente; erwachende Männlichkeit und Anschlußbedürfnis. Das erste verlangt nach Unternehmungen, in denen sich Freiheitsstreben, Erfindungsgabe, physische Kraft und Abenteuerlust auswirken können; das zweite sucht den Gleichklang mit gleichaltrigen Kameraden, in deren Kreis sich der Sinn für Gemeinschaft und Führertüm von selber naturgemäß entwickelt. Es ist die bleibende Tat des englischen Obersten Baden-Powell, auf diesen beiden Erziehungsprinzipien ein weltumfassendes Jugendwerk aufgebaut zu haben: das Pfadfindertum.

Baden-Powell hatte um die Jahrhundertwende im südafrikanischen Feldzug halbwüchsige Buben im Melde- und Erkundungsdienst eingesetzt. Sie bewährten sich ausgezeichnet. Da entstand in seinem Geist der geniale Plan, diese Erfahrung auszubauen und ein Erziehungssystem zu begründen, mit dessen Hilfe es möglich wäre, auch in Friedenszeiten die Buben zwischen 12 und 18 Jahren den Gefahren der Straße fernzuhalten und sie zu tüchtigen Menschen und verantwortungsvollen Staatsbürgern zu erziehen. Baden-Powell war nicht nur ein bewährter Kolonialoffizier und glänzender Psychologe, er war vor allem ein großer Idealist und liebte die Jugend von ganzem Herzen. Er kannte die Begeisterungsfähigkeit junger Menschen, ihre Freude an Spiel, Wettkampf, gemeinschaftlichem Wandern. Er las in den Seelen der Jungen wie in einem offenen Buch; immer wieder hatte er beobachtet, daß in jedem echten Buben ein gut Teil Romantik und der leidenschaftliche Trieb zu bauen, zu basteln, zu erfinden leben. Er appellierte bei seiner Erziehung zu körperlicher Tüchtigkeit an die Naturliebe, den gesunden Ehrgeiz und die Fairneß, die in jedem unverdorbenen Knaben stecken. Selbstverständlich war er sich darüber klar, daß eine Erziehung, die sich nur auf die Pflege körperlicher Gewandtheit und manueller Fertigkeiten beschränkt, einseitig bleibt. So wandte er sich an den ganzen Menschen,' verlangte neben körperlicher Ertüchtigung mit gleichem Nachdruck die Erziehung des Charakters.

Der Pfadfinder redet nicht, sondern handelt! Das ist eines seiner obersten Gesetze. In der täglichen „guten Tat“ hat er dies jederzeit im Alltag unter Beweis zu stellen. In seinem Buch „Scouting for Boys“ hat Baden-Powell seine Erziehungsziele und -methoden genau festgelegt. Voll trockenem Humor und erstaunlichem Einfühlungsvermögen in die Mentalität junger Menschen ist darin übersichtlich und prägnaht alles niedergelegt, was ein Scout zu lernen und zu beherzigen hat. In der ganzen Welt bauen Millionen Pfadfinder auf dieses Werk, und nach der Bibel ist es das Buch, das in die meisten Sprachen der Erde übersetzt wurde. Es befaßt sich mit dem Aufbau der Organisation, bespricht das Führerprinzip — das Disziplin und Verantwortlichkeit des einzelnen gleichermaßen entwickelt —, erinnert an die religiösen Pflichten des Pfadfinders. Frei von jeglichen militaristischen Ambitionen bringt es Anregungen für Spiele, Wettkämpfe, Geschicklichkeitsprüfungen und auch die genaue Festlegung der Abzeichen, Richtlinien für einheitlichen Gruß und Tracht sind nicht vergessen. „Versprechen“ und „Gesetz“ sind die Pole, zwischen denen sich das Leben des Pfadfinders bewegt. Das Gesetz schreibt ihm vor, treu, hilfsbereit, höflich und ritterlich zu sein. Auf seine Ehre muß man bauen können, er ist Freund und Beschützer aller Tiere ttnd Pflanzen, er soll sich bemühen, allzeit ün- ' verzagt, sparsam, heiter und zufrieden zu sein — er muß gehorchen können, vor allem aber: er tut nichts halb! Rein in Gedanken, Worten und Taten, ist der Pfadfinder Freund aller Menschen und Bruder aller Pfadfinder.

Unaufhaltsam war schon zu Lebzeiten Baden-Powells der Siegeszug seines Werkes. Bald gab es kein Land der Erde, in dem sich nicht Pfadfinder unter dem Lilienbanner sammelten.

Die Diktatoren von gestern waren sich selbstverständlich darüber klar, daß die pfadfinderischen Menschheitsideale ihrem Regime diametral entgegengesetzt waren; 6ie verboten deshalb kurzerhand in ihrem Machtbereich die Bewegung. Das hinderte sie freilich andererseits nicht, um ihren Organisationen — der .Hitlerjugend“ und der „Baliila“ — den Start zu erleichtern, zahlreiche bewährte Einrichtungen der Pfadfinder, wie Gruß, Tracht, Lagerregeln, Spiele, Führerprinzip, modifiziert zu übernehmen. Baden-Powells Idee hat auch diese schwere Zeit siegreich überstanden!

Dann, nach Beendigung des zweiten Weltkrieges, erhob sich das Problem der seelischen und körperlichen Erziehung der jungen Generation mit verschärfter Dringlichkeit. Tief besorgt verfolgten Eltern, Lehrer, Freunde der Jugend den furchtbaren geistigen Zusammenbruch und seine Gefahren für die Jugend. Es war keine Zeit zu verlieren! So faßten 1945 auch erprobte österreichische Pfadfinderführer den Entschluß, die Pfadfinderbewegung neu zu beleben. Unvorstellbar groß waren die Schwierigkeiten, die sich ihnen materiell und ideell entgegenstellten. Heute aber steht Österreich wieder geachtet in der großen Reihe der international anerkannten Pfadfindernationen. Uber 9000 Pfadfinder sind derzeit wieder in Österreich aktiv tätig. Das „Internationale Komitee der Pfadfinder' in London hat dieser Entwicklung seine Anerkennung nicht versagt. Es beschloß, vier Jahre nach dem letzten Weltpfadfindertreffen in Frankreich, im Jahre 1951 Österreich zum Schauplatz des sogenannten Jamborees zu wählen. 15.000 Pfadfinder werden daran teilnehmen. Ein Entschluß, der Ehre, aber auch Verpflichtung bedeutet!

Voll Verständnis haben die verantwortlichen Männer in den Bundes- und in den Landesregierungen bereits Hilfe zugesagt, so wie sie ihm Rahmen der bescheidenen österreichischen Möglichkeiten geleistet werden kann. Darüber hinaus wird aber die Mitwirkung und materielle Förderung dieses großen Tages unserer Heimat auch Aufgabe verantwortungsbewußter Bürger im ganzen Lande sein. Am sinnfälligsten kann diese Dankbarkeit dadurch bewiesen werden, daß — wie in allen anderen Ländern bei den früheren Jamborees — auch in Österreich einige tausend Familien einen oder mehrere Pfadfinder aus England, den USA, Frankreich, Südafrika, Indien, Japan, kurz aus einem beliebigen Land und Kontinent der Erde, eine Woche lang als Gäste beherbergen. Der gute Ruf unseres Volkes wird davon größten Gewinn nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für seine Zukunft haben.

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