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Monotheismus als Urreligion

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Einer der bekanntesten und international angesehensten Anthropologen unserer Zeit, Professor Dr. Martin G u s i n d e von der Catholic University of America, Washington, hat der Wissenschaft jüngst wieder wichtige Erkenntnisse vom Leben, den Sitten und der Gottesvorstellung der primitivsten Völker vermittelt. Lange Jahre verbrachte er bei den Ureinwohnern von Feuerland, von Australien und vom Malaiischen Archipel. In den Jahren 1950 51 lebte er elf Monate bei den Buschmännern Afrikas, im südlichen Wüstengürtel des schwarzen Kontinents. Mitte 1953 ergänzte er die Beobachtungen seiner ersten Reise und erforschte weitere 15 Wochen lang das Leben seiner „kleinen gelben Freunde".

Die vielen Nachrichten, die über das seltsame Volk der Buschmänner im wüstenhaften Raume Südafrikas vorliegen, reichten bisher nicht aus, um ein deutliches und verläßliches Bild von ihrer Daseinsweise und Rasseform zu geben. Weil man sie auch als Pygmäen ausgegeben hatte, bin ich gerade dadurch angeregt worden, sie zum Gegenstand einer gründlichen Untersuchung zu machen. Nachdem ich 1934 35 die echten Pygmäen im Tropengürtel Afrikas kennengelernt hatte, galt meine erhöhte Aufmerksamkeit dem noch immer ungelösten Rätsel vom biogenetischen Ursprung der normalen Zwergform beim Menschen. Von meinem 15monati- gen Aufenthalt in Südafrika 1950 51 habe ich elf Monate ausschließlich den Buschmännern gewidmet. Hauptsächlich versuchte ich, mit den im abgelegenen, schwer zugänglichen Wüstenraume umherschweifenden Sippen in Fühlung zu treten, ihre Gruppen und Kopfzahl verläßlich ausfindig zu machen, schließlich ihre rassische Eigenart ausführlich zu bestimmen. Ein reicher Erfolg war mir beschieden. Auch hier hat sich meine bei früheren Unternehmungen ähnlicher Art angewandte Arbeitsmethode gut bewährt: möglichst ohne europäische Begleitung begab ich mich mit einem oder zwei ortsverbundenen Eingeborenen zum fremden Volksstamme. Was an Beobachtungen auf jener ersten Reise unklar und unvollständig geblieben war, wurde bei meinem Besuch Mitte 1953 ergänzt, während ich 15 Wochen mit meinen kleinen, gelben Freunden in ihrem wüstenhaften Lebensbereich verbrachte.

Ihre Kopfzahl überschreitet um wenig 9000; davon leben etwa 3000 im südlichen Angola und im eigentlichen Südwestafrika (der früheren deutschen Kolonie) etwa 6000. Diese scheuen und doch liebenswürdigen Naturkinder durchstreifen als primitive Nomaden einen ungeheuer langgezogenen, wüstenartigen Raum. Sie erhalten sich durch Sammelwirtschaft, durch ruheloses Jagen und Sammeln dessen, was Mutter Natur ihnen freiwillig bietet; sie leben buchstäblich von der Hand in den Mund. Eine gesellschaftliche Gliederung oder völkische Organisation haben sie nicht entwickelt. Sie anerkennen weder einen Häuptling noch irgendwelche rechtlich beglaubigte Autoritätspersonen, weder Polizei- noch Zivilbehörden; jeder Erwachsene genießt die gleichen Rechte, weil alle Klassenunterschiede völlig fehlen.

Die natürliche Familieneinheit jedoch, die Verbindung von Mann und Frau zur Einehe samt ihren Kindern, ist um so fester zusammengefügt und in ihren Funktionen durchaus zweckdienlich bestimmt. Die Jugendlichen beiderlei Geschlechts sind in der Wahl des Lebensgefährten völlig frei, lediglich nahe Blutsverwandtschaft bildet ein Ehehindernis. In jungen Jahren schon, bald nach den für alle verpflichtenden Pubertätsriten, begründen sie ihren Ehebund; in dieser Lebensphase sind beide charakterlich noch bildsam genug, um sich einander nach ihrer persönlichen Veranlagung anzupassen. Als ein Hauptziel ihres ehelichen Zusammenseins erstreben sie unverzüglich zahlreiche Sprößlinge, und als maßlos in sie verliebte Eltern haben sich die Buschleute mir rückhaltlos zu erkennen gegeben. Durchaus würdig ist die Stellung der Frau. Innerhalb ihrer Familie genießt sie nahezu die gleichen Rechte wie ihr Mann; sie wird von ihm nicht minder geschätzt und geliebt als von ihren Kindern. Diese sehen alltäglich, welch beträchtlichen Beitrag zum Unterhalt und Wohlergehen der ganzen Familie sie leistet.

Diese in ihrer Daseinsweise an der untersten Grenze der bedürfnislosen Einfachheit stehenden Nomaden leben ausschließlich in Einehe. Von dieser strengen Regel sind sie durch Jahrhunderte nicht abgewichen, obwohl ihnen die Vielweiberei der rund um ihren wüstenhaften Raum angesiedelten Neger ständig vor Augen steht. Für sie ist es selbstverständlich, daß die Eheleute auf Lebenszeit miteinander verbunden bleiben. Einer gleichen erstaunlichen Strenge der Ehemoral bin ich bei keinem anderen Urvolk begegnet. Sollte sich jemand der ehelichen Untreue schuldig machen, verfällt er unabwendbar dem Tode. Die ganze Sippe fühlt sich zur rächenden Strafe verpflichtet. Die Gesamtheit des Buschmannvolkes steht in zahlreichen Sippen oder Familiengruppen aufgelöst da; jede setzt sich zwar aus mehreren Einzelfamilien zusammen, doch erfreut sich jede einer vollen Unabhängigkeit. Solch eine Sippe bildet gewissermaßen eine Wirtschaftseinheit, insofern alle Mitglieder zu gegenseitiger Hilfeleistung verbunden bleiben, ohne indes einen bestimmten Führer oder Häuptling anzuerkennen.

Wie in allen bisher aufgezählten Wesenszügen des Kulturganzen die Buschmänner mit den übrigen Primitivstämmen auf der sehr niedrigen Stufe der Sammelwirtschaft übereinstimmen, so auch schließlich im religiösen Glauben und Tun. Durch lange Jahrzehnte haben europäische Ansiedler ihnen nachgesagt, sie würden den Mond und andere Himmelskörper anbeten oder etwa dem Mantis — einem heuschreckähnlichen Insekt: „Gottesanbeterin“ — religiös huldigen. Weil ich mit rassereinen Buschmännern zusammenlebte, ist es gelungen, endlich auch hier den richtigen Sachverhalt aufzudecken, nämlich, daß sie ebenfalls ein einziges höchstes Wesen als eine göttliche Persönlichkeit anerkennen. Sie steht als Schöpfer der sichtbaren Welt und Urheber aller gesetzlichen Ordnung auch jedem Einzelmenschen nahe und schafft jede menschliche Seele in dem Augenblick, da der kleine Körper den Mutterschoß verläßt. Diese Seele wird am Lebensende zu ihrem Schöpfer zurückgerufen. Die Buschmänner verehren religiös dieses höchste Wesen durch ehrfurchtsvolle Gesinnung und unterwürfige Haltung, durch eigentliche Gebete und richtige Primitialopfer. Bisher haben sie missionarische Betreuung in keiner Weise erfahren. Ihre Gottesauffassung ist also ihre wirkliche Urreligion. Ihre gesamte Lebensführung ist grundsätzlich hochmoralisch und ihre Gemütsart ungetrübt heiter; mit ihrer Vorliebe für Zieraten und Körperschmuck überragen sie allerdings um vieles alle übrigen Urvölker. Diese Gruppe der — wirtschaftlich gesehen — niedrigsten Primitiven hat sich ihre uralte Lebensform und Geistesart aus frühestem Menschheitsbeginn bis in unsere Tage wesentlich unverfälscht bewahrt.

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