Dieses Buch bietet einen doppelten Zauber. Jedem Leser des großen Romans von Marcel Proust sind die Figuren aus der Welt von Swann und aus der Gesellschaft der Guermantes vertraut. „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ sind sie in der Erinnerung des Autors erschienen, haben sich in Sprache verwandelt und führen nun ihr Leben in der Erinnerung des Lesers weiter. Wir erinnern uns an eine Erinnerung. Und nun macht uns William Howard Adams mit Prousts Modellen bekannt, mit den Vorbildern seine$ Gestalten, und bietet dazu, neben Biographien und Charakteristika, auch noch die entsprechenden Porträtfotos von Paul Nadar.
Nadar, erst 1939 gestorben, war der Gesellschaftsfotograf jener Zeit. Wir sehen sozusagen mit eigenen Augen Charles Haas, der iüv die Figur des Swann als Modell gedient hat, dürfen die verschiedenen Damen in persona betrachten, die sich in dem Roman zur Herzogin de Guermantes vereinen sollten, lernen die Vorbilder für Odette, Gilberte, Charlus und all die anderen kennen.
Diese Reise durch das Gedächtnis von Marcel Proust läßt uns die Atmosphäre der Belle Epoque spüren und im Vergleich von Modell und Romanfigur die halbbewußte Methodik der schriftstellerischen Arbeit erahnen. Zugleich setzt das Buch das eigene Bewußtsein in Bewegung, denn es veranlaßt uns, die verschwundene Wirklichkeit den lebendigen Bildern der eigenen Erinnerung entgegenzustellen.
PROUSTS FIGUREN UND IHRE VORBILDER. Von W. H. Adams. Fotos von Paul Nadar. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1988. 254 Seiten, öS 296,40.
