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Ein ganz und gar ungewöhnlicher Faschismus

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Wer will unter die Samurai? Der muß haben sehr viel Ehr', sehr viel Genügsamkeit und Selbstdisziplin, sehr viel bedingungslose Treue gegenüber dem Sippenchef oder dem Lehnsherrn. Er muß nicht nur „das Gesicht wahren“ und darauf achten, „was die Leute sagen“, denn das tun ja alle. Heutzutage muß er allerdings nicht mehr „haben ein Gewehr“ oder, wie in all den Jahrhunderten vorher, ein prächtig ziseliertes Schwert und eine großartige, furchterregende Rüstung. Er muß sich nicht mehr als „kami-kaze“, als „Götterwind“ vom Himmel herab mit einer Sprengladung auf die Schiffe der weißen Teufel stürzen und er muß nicht mehr, um den Lehnherrn ins Unrecht zu setzen, seppuku begehen. (Seppuku ist jene Art von Selbstmord, die im Westen unter dem durchaus vulgären Ausdruck „hara-kiri“, Bauchaufschlitzen, bekannt wurde.) Heutzu-

tage betätigt sich der Samurai in der Wirtschaft.

Vor mehr als einem Jahrtausend entwickelte sich die Kriegerkaste der Samurai aus den Siedlern und Pionieren im „Fernen Osten“ der Insel Honschu. Für den Kaiser und die Hofgesellschaft wurden sie alsbald -und hier zeigt sich eine gewisse Parallele zum „gewöhnlichen Faschismus“ Mussolinis in Italien - eine bespöttelte und gefürchtete Kalamität, von der man allerdings nicht wußte, ob man und wie man sie jemals wieder loswerden würde. Parallelen gibt es, trotz des völlig verschiedenen Ethos, mit den abendländischen Ritterorden, nicht aber mit der SS des Hitlerreiches. Abendländische Ritter und Samurai begegneten einander nie.

Man sollte die tausendjährige Geschichte der Samurai in dem herrlichen Bildband nachlesen, den Her-

der-Freiburg soeben in deutscher Sprache nach dem englischen Original der Orbis Publishing Limited-London herausgebracht hat. Richard Storrys Text ist frei von Butterfly-Romantik und frei von jenen kindischen Klischees, nach denen 1945 die Amerikaner den Frieden diktierten, im Glauben, nun werde es in Japan so herzhaft demokratisch zugehen wie in Tennessee und Minnesota. Aber die Samurai-Familien saßen längst in den großen Konzernen, das japanische Wirtschaftswunder konnte beginnen. Und was die Entmachtung des Kaisers anlangte - die war man ja seit tausend Jahren gewohnt und empfand sie als durchaus natürlich. Abgesehen von der kurzen Meiji-Pe-riode war der Tenno nie wirklich mächtig gewesen, immer nur sehr heilig ... Und als ein dickköpfiger Amerikaner, verständnislos und unwissend, wie die weißen Teufel nun

einmal sind, einem Japaner vorhielt, der Kaiser habe doch über das Radio und vor aller Welt erklärt, er sei weder eine Gottheit noch göttlich, meinte der Japaner: „Wissen Sie ... Seine Majestät ist eben sehr bescheiden ...“

DIE SAMURAI, RITTER DES FERNEN OSTENS. Text von Richard Storry, Bilder von Werner Forman. Ins Deutsche übersetzt von Hans Schmidthüs. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 1978. öS 496,-.

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