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Es war einmal

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Es war einmal eine Zeit, in der konnten die Erzähler erzählen. Sie vermochten Vergangenheit von Vorvergangenheit zu unterscheiden, waren der indirekten Rede kundig, benötigten, um sich auszudrücken, keiner Spiralsätze, imitierten nicht aus antielitären Gründen die Aufsätze von Sonderschülern und schrieben keine AntiErzählungen. Sie erzählten nur.

In jener Zeit, die längst vergangen ist, lebte und schrieb Franz Nabl. Er hatte, da doch so viele gut und handfest zu erzählen wußten, mäßigen Erfolg, wurde gedruckt, gelesen, vergessen. Nach Jahrzehnten wurde er wiederentdeckt. Autorenkollektive und Textemacher konnten sich des Erstaunens darüber nicht genugtun, daß es einen Erzähler gegeben hatte, der Erzähungen erzählt hatte, und bei dieser Gelegenheit stellte sich ganz nebenbei, am Rande sozusagen, heraus, daß Franz Nabl, neunzigjährig, immer noch lebte. Franz Nabl wurde Tatzeuge seiner eigenen Renaissance, dann starb er.

Der Neuauflage seiner großen Romane heß der Styria-Verlag nun einen Band „Meistererzählungen“ folgen, die zwar aus sehr verschiedenen Schaffensperioden stammen, allesamt aberjene beiden Themen variieren, um die Nabls gesamtes Oeuvre kreist: um die Illusionen des Kleinbürgers und um den „Schichtwechsel“.

Illusionen: eine nicht zu unterschätzende Zahl von Zeitgenossen richtet ihr Leben nach Spielregeln ein, die ein geschlossenes System bilden, in ihrer zwanghaften Logik aber Wahnvorstellungen zur Voraussetzung haben, deren Zusammenprall mit der Wirklichkeit zur Katastrophe führen muß. Das Platzen der Ihusion kann tödlich sein,

kann aber auch zu einem Patt führen, das der Komik nicht entbehrt.

Schichtwechsel: davon ist in der großen Novelle „Der Fund“ ebenso die Rede wie in jenem gleichnamigen, in Hans Weigels Bearbeitung erfolgreich gewordenen Theaterstück, in dem die Tochter des Kronprinzen Rudolf, Erzherzogin Elisabeth, verehelichte Fürstin Windischgraetz, wiederverehe-hchte Frau Petznek, dem Dichter Nabl unversehens zur Hauptfigur geriet. „Schichtwechsel“ vollzieht sich nämlich, wie Nabl immer wieder staunend feststellte, nur hinsichthch der Macht und des Geldes, nicht aber, was Habitus und Wertordnung anlangt. Im Augenblick der Krise fällt jeder ganz automatisch in die ihm naturgemäße Rolle. Eine Erzherzogin übernimmt das Kommando. Ein Offizier muß, und sei es über Leichen, die Ehre einer Dame retten. Arbeitgeber und Arbeitnehmer retten gemeinsam „ihren“ Betrieb. Ein Erfolgsmensch erpreßt. Ein Spießer benimmt sich schamlos. Zwischen den beiden, durch Denk- und Sprachbarrieren getrennten Schichten werden Verbindungen angestrebt, wird Ausgleich gesucht. Mitunter gelingt das, aber es gelingt nur unter peinlichen Opfern. Einer zumindest bleibt auf der Strecke: im Theaterstück „Schichtwechsel“ ist es ein Dienstmädchen, in der Novelle „Fund“ ist es ein Journalist. Alles kommt zwar zum verquälten guten Ende, aber hinter den Kulissen und zwischen den Zehen klingt lautlos Franz Nabls verzweifeltes Gelächter.

MEISTERERZÄHLUNGEN. Von Franz Nabl. Verlag Styria Graz -Wien - Köln, 1978. Ln., 263 Seiten, öS 240,-.

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