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Nabls poetischer Naturalismus

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AUSGEWAHLTE WERKE. Von Franz N a b 1. Verlag Kremayr und Scheriau. Wien, 1965. Vier Bände mit ca. 2000 Seiten. Jeder Band S 95.-.

Als der Rezensent vor 39 Jahren Franz Nabls nicht unbedeutendes, aber nicht sehr bezeichnendes Drama „Trieschübel” im Burgtheater sah, hatte er schon zwei der drei großen Romane, mit denen Nabl in die Literaturgeschichte eingegangen ist, „Ödhof” und „Die Ortliebschen Fraiuen”, die letzteren unter dem ersten Titel „Das Grab des Lebendigen” (der dritte Roman ist „Die Galgenfrist”, während „Ein Mann von gestern” eher als größere Erzählung anzusprechen ist), gelesen. Es dauerte Jahrzehnte, bis er sich durch Nabls kleine Erzählungen und ihre Sammelbände, den „Johannes Krantz”, die „Steirische Lebenswanderung”, das „Rasenstück” u. a. bis zum Kern der Art des Dichters durchgerungen hatte.

Es gibt einen poetischen Naturalismus. In seinem Essay „Wahrheit und Dichtung” sagt Nabl, man müsse bei der Schilderung von Untaten nicht selbst Verbrecher sein, aber doch vor Augen haben, daß und wie man es hätte werden können. Das gilt für den Darsteller absonderlieber Menschen und unheimlicher Katastrophen Nabl nicht weniger als für den zarten Maler von Landschaft, Pflanze und Tier.

Es war bestimmt kein Zufall, daß der 1883 geborene, jetzt in Graz lebende Deutschböhme Nabl 1911 seinen Ramanerstlimg „Ödhof”, vergleichbar nur mit Paula Groggers „Grimmingtor”, in Berlin erscheinen ließ und sich damit demonstrativ von dem gänzlich anders gearteten Jung- Wien eines Hofmannsthal, Schnitzler, Zweig, auch Rilke, absetzte. Dem Naturalismus und Autobiographismus (Nabls Helden sind zumeist Ich- Verkleidungen, „gelöste Teile von seinem Leben”, und ihr Milieu war einmal seines gewesen) ist er treu geblieben bis heute, da über den oft und hoch Ausgezeichneten der erste „Schnee” und die vorliegende Sammelausgabe kam. Da die vier Bände auch einzeln käuflich sind, sei ihr Inhalt kurz angeführt:

Das Kernstück ist Band 1, „Der Griff ins Dunkei/Erzählungen”, mit dem Vorwort Dr. Alfred Holzingers, dem Essay des Dichters „Wahrheit und Dichtung”, 13 Gedichten, 8 Erzählungen, den 13 Rahmenerzählungen „Johannes Krantz” (die autobiographische Schlüsselflgur Nabls!), darunter die berühmte „Kindernovelle”, und zum Schluß die Daten zu Franz Nabls Leben und Werken. — Band 2 enthält die größere Erzählung „Ein Mann von gestern” und den Roman „Die Galgenfrist”, Band 3 den Roman „Ödhof” und Band 4 den Roman „Die Ortliebschen Frauen”. (Alles Dramatische und einiges Lyrisches und Episches fehlen.)

„Dichter i. R.” hat sich Nabl in hohem Alter einmal genannt, sein Versprechen aber auch als Achtziger gottlob nicht gehalten. So oder so — hier liegt (in schönster Ausstattung in elegantem Schwarz-Weiß mit Kartonschieber) ein Lebenswerk vor uns: leidenschaftlich und gütig, kämpferisch und geläutert, Himmel und Hölle und Erde: eine österreichische Dichtung.

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