6821909-1973_41_14.jpg
Digital In Arbeit

Das Werk Franz Nabls

19451960198020002020

Von der Osterreichischen Gesellschaft für Literatur eingeladen, las vergangene Woche Franz Nabl seine Erzählung „Tag der Erkenntnis“. Der Beethovensaal im Paiais Palffy war vollbesetzt, das Publikum begeistert und beeindruckt: von der vor rund 55 Jahren geschriebenen Prosa des steirischen Dichters und von dessen körperlicher Verfassung. Vor knapp drei Monaten beging Franz Nabl nämlich seinen 90. Geburtstag. F.

19451960198020002020

Von der Osterreichischen Gesellschaft für Literatur eingeladen, las vergangene Woche Franz Nabl seine Erzählung „Tag der Erkenntnis“. Der Beethovensaal im Paiais Palffy war vollbesetzt, das Publikum begeistert und beeindruckt: von der vor rund 55 Jahren geschriebenen Prosa des steirischen Dichters und von dessen körperlicher Verfassung. Vor knapp drei Monaten beging Franz Nabl nämlich seinen 90. Geburtstag. F.

Werbung
Werbung
Werbung

Franz Nabl, der geboren wurde, als noch Pferdebahnwagen durch die Straßen Wiens rumpelten, der sich noch an die Tragödie des Thronfolgers Rudolf und an Bismarcks Tod erinnern kann, in dessen Kinder jähre die Entdek-kung der Röntgenstrahlen und die Erfindung der lebenden Photographie fiel, kommt als Dichter vom Naturalismus, von der Wirklichkeitskunst her. Surrealistische Elemente sind in ihm wirksam, aber nur insoweit sie dem persönlichen Erleben entspringen. Nabl theoretisiert nicht. Er erzählt ein Stück Leben, ein merkwürdiges und gesegnetes, erzählt von sich und dem Ausschnitt der Welt, der ihm zugewiesen wurde, erzählt von Wirrnissen und Erhebungen, erzählt von einem Mensohen, dem die Begnadung des Dichters zuteil ward. Und weil er ein Künstler ist, löst sich sein Werk aus dem Persönlichen, nimmt es überindividuelle Züge an, wird ein Stück österreichischer Vergangenheit.

Nabl durchlebte die naturalistische Epoche, hörte von den Kämpfen der Jugend gegen die wirklichkeitsfremden Epigonen und unrealistischen Schönfärber. Nicht in der Schule. Dort galt der klassische Kanon, galten als empfehlenswerte Jugendlektüre .-, höchstens Felix Dahn und Ebers, Hauff und Scheffel. Von Ibsen und Hauptmann hörte der Mittelschüler durch einen Hauslehrer, den „geliebten Lehrer“, und einige später vernichtete Versuche folgten sogar getreulich ihren Spuren; erbliche Belastung und Säuferwahnsinn als modische Motive hatten auch ihn gelockt. Doch Nabl ist nie zum Parteigänger geworden. Er hat sich nicht der naturalistischen Ideologie verschrieben, der Milieutheorie, der Erblehre und dem sozialen Programm. Er suchte nicht in seinen Erzählungen die lichtlosen Hinterhöfe auf, die Kellerwohnungen und Schnapsbutiken, weil das die neue literarische Linie war. Er

gebärdete sich nicht als Freund der Ausgebeuteten, der Stiefkinder der Gesellschaft, der in der Großstadt unter die Räder Gekommenen.

Schon in früher Jugend haßte er die Großstadt, er war der Sohn aus gutbürgerlichem Hause und mußte zunächst mit seinem eigenen Leben fertig werden. Doch als Gemeinsames mit jener Wirklichkeitskunst blieb, freilich gefördert durch Charakteranlage und Erziehung, der unbedingte Wille zur Wahrheit, sei es bei der Menschenschilderung oder der Darstellung von Naturerscheinungen. Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung, Seelenstudium (doch nie ins Theoretische oder Abstrakte abgleitend) und Studium der Pflanzen, Tiere, der umgebenden Natur brachten das Material heran für Nabls Bücher.

Der Konflikt zwischen Vater und Sohn im ödhof wird individualpsychologisch begründet, er ist nicht generationstypisch auszulegen. Nicht wie bei Turgenjews Väter und Söhne, in Gerhart Hauptmanns Drama Michael Kramer oder gar um einige Jahre später in Hasen-clevers Stück Der Sohn bricht der Protest der jungen Generation gegen die verknöcherte alte Generation vehement und einseitig hervor; Nabl folgt auch hier nicht einer Zeitströmung. Nicht um die Positionen von jung und alt in der Gesellschaft geht es ihm, sondern um ein psychologisch motiviertes Seelendrama, um zwei Einstellungen zur Welt, die aber nicht von der Idee her oder nach einem Schema konzipiert wurden. Das Seelendrama war seine persönliche Tragödie. Er mußte sich eigene Nöte von der Seele schreiben, um durch das Aussprechen darüber hinwegzukommen.

Nabls. Bücher sind nicht bloß, vom Künstlerischen her zu fassen. Sie sind wie Goethes Werke „Bruchstücke einer großen Konfession“, und Nabl erreicht als Dichter seinen ersten Höhepunkt, als er sein Leidvollstes preisgibt und, vom Erlebten ausgehend, Menschen und Vorgänge darstellt, in die Kammern und Winkel menschlicher Seelen eindringt, die ihre Urbilder in der Wirklichkeit haben.

Das Gedächtnis ist gleichsam der schier unerschöpfliche Fundus für Franz Nabls Dichtungen. Aus der erinnernden Vergegenwärtigung sind die meisten seiner Werke entstanden, auch wenn Erfundenes hinzutritt und Wahrheit und Dichtung sich mischen. Dem unbedingten Drang zur

Wahrheit, der Vorliebe, ein Stück Wirklichkeit darzustellen, wirken jedoch Scheu und Scham, sich zu entblößen, entgegen. Das Wörtchen Ich wird nur ganz selten verwendet.

Franz Nabl wird nicht müde, die Schönheiten der Natur, das beseligende Wunder im kleinen und kleinsten zu preisen. Sei es in dem Sammelband Das Rasenstück, in dem zart andeutenden Erinnerungsbuch Steirische Lebenswanderung oder in den Kindheit und Jugend klärenden Kapiteln des Erloschenen Sterns und den die Steiermark in den Mittelpunkt rückenden Aufsätzen zur Zweiten Heimat, sei es auch in Gelegenheitsarbeiten, die eine Landschaft beschreiben und rühmen. In solchem Zusammenhang kann sich der sachliche, nüchterne Stil Franz Nabls zur Dithyrambik steigern, bricht eine Weltfrömmigkeit ein, die den melancholischen Skeptiker in die Knie zwingt. „Man fühlte, daß man irgendwie unsterblich war, und unermüdlich, oder selbst vielleicht eine kleine Sonne, denn nun empfing man Licht und Wärme nicht mehr nur von außen, man trug sie in sich und durfte sie verstrahlen in beglückendem verschwenderischem Ausgleich.“

Die ethischen Impulse werden stärker, der Durchbruch vom Ich zum Du zeichnet sich ab. Der reife Mann — das ist eine entwicklungspsychologische Tatsache — beginnt sich zu bescheiden und fügt sich ein, wenn auch unter Schmerzen, in den kleineren Wirkungskreis. „Im kleinen spiegelt sich das große Leben, das Große ist oft Schwellung nur und krank.“ Zu hoch greifende Pläne werden begraben, und der ichzentrierte Mensch lernt den Wert altruistischer Regung kennen, das , hilfsbereite Miteinander. Von der Grausamkeit führt der Weg zur Liebe. Nun geht es darum, Bändigung und Beherrschung des Dämonischen in der menschlichen Seele zu erreichen, liebevoll und nachsichtig dem Mitmenschen zu begegnen, nicht nur Liebe und Trost vom Nächsten zu erwarten, sondern selbst Liebe und Trost dem andern zu geben. Trotzdem weiß Nabl, daß in jedem Menschen der Keim zum Guten und Bösen verborgen liegt und Unkraut rascher und üppiger wuchert; er weiß auch, daß trotz des Willens zum „Guten Wort“ nicht alles verziehen und vergessen werden kann, daß es Handlungen gibt, die den andern abstempeln. Güte darf nicht zum Selbstverrat führen, Treue muß

mit unbedingter Treue vergolten werden. Wird das Ehrgefühl verletzt, dann gibt es keine Brücke mehr. Das sittliche Feingefühl bestimmt die Grenze, jenseits der Vergebung unmöglich ist. Danach handelt Johannes Krantz und daran hält sich auch der abgedankte Offizier in der Erzählung Der Fund.

Franz Nabl ist ein beschreibender Dichter. Nicht von der Phantasie und dem Gedankenflug, läßt er sich leiten. Er malt zwar aus und kombiniert, die Bausteine liefert aber immer die Wirklichkeit. Wie die Dingbeschreibungen bei Nabl stimmen, so auch die psychologischen Analysen. Zur Genauigkeit der Sprache tritt die scheinbar unbeteiligte Objektivität. Nabl hat etwas von einem entsagungsvollen Wissenschaftler an sich, der nicht danach zielt, zu bluffen, zu verzaubern oder artistische Kunststückchen zu produzieren. Gerade weil Nabl als Beteiligter schreibt, rückt er die Vorgänge von sich. Dabei weiß er sehr wohl eine Erzählung zu bauen und dramatisch zu steigern. Das Dramatische ist überhaupt sein Element. Nicht weil Nabl den Trieschübel und einige

andere Bühnenstücke geschrieben hat, sondern weil die inneren Spannungen so groß sind, daß sie nach außen drängen. Sei es der Widerstreit von Trieb und Ethos, von Dämonie und dem Willen zur Güte, von Menschenverachtung und Nächstenliebe, sei es der Kampf zwischen dem Bösen und Guten in der Welt, zwischen Pessimismus und Naturfreude, _z.wi- , sehen düsterem Agnostizismus I und der Hoffnung, inmitten der . Dunkelheiten doch ein Fleckchen an der Sonne zu finden.

Durch Franz Nabl wurde der erste große psychologische Roman der österreichischen Literatur geschaffen. Das bezeichnet seine literarhistorische Bedeutung. Die Wurzeln seines Werkes liegen im Persönlichen. Zunächst hat er für sich geschrieben, sich zum Trost und um für sich Wege durch das Labyrinth zu finden. Nun aber, da sein Werk und Leben sich rundet, verblaßt die historische Zuordnung, und vor uns steht, in sich geschlossen, die vollbrachte große Leistung, von der einst ein Knabe, ein einsamer Knabe am Fischbach träumte...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung