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Fontane auf österreichisch

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Neunzigjährig starb 1974 Franz Nabl in Graz. Im Alter bezeichnete er sich gern als einen „Schriftsteller im Ruhestand“. Nicht ganz zu Unrecht, denn seine sämtlichen Romane entstanden zwischen 1908 und 1935. Später folgten neben einigen Novellen nur noch autobiographische Bücher. Außerhalb Österreichs wurde er wenig gelesen. In seinen letzten Lebensjahren vollzog sich ein Wunder: die in Graz beheimatete literarische Avantgarde Österreichs mit Peter Handke scharte sich voller Verehrung um den bald Neunzigjährigen. Dadurch gewann sein

Name mit einem Schlag eine Bekanntheit, die ihm früher versagt blieb. Aus dem Nachlaß veröffentlicht jetzt der Styria Verlag in Graz den 1914/15 geschriebenen Roman Das Vaterhaus, der von Nabl gedacht war als erster Teil einer Romanreihe, die den Entwicklungsgang eines jungen Menschen um die Jahrhundertwende in Österreich schildern sollte. Die Zerstörung überlieferter Lebensformen durch Krieg und Nachkriegszeit ließ jedoch bei Nabl das Interesse an einer Fortsetzung erlahmen, und auch der erste Band blieb unveröffentlicht.

Das Vaterhaus des Romans ist dem sechzehnjährigen Paul Deinegger das Haus, in dem er sein Leben bis dahin verbracht hat, ein Haus auf dem Land, mit einer kleinen Landwirtschaft verbunden, die seinen Vater, den pensionierten herzoglich Cor-vara'schen Forstdirektor Ulrich Deinegger, nicht ganz unbeschäftigt sein läßt. Er und seine Frau Klara leben seit Jahren „in einer beinahe selbstverständlichen gegenseitigen Teilnahmslosigkeit nebeneinander her“, und die gleiche Fremdheit liegt zwischen den Eltern und ihrem Sohn, dem Schule und Kameraden über die immer stärker empfundene Leere des Elternhauses nicht hinweghelfen können. „Schau, Josepha“, gesteht er der Schwester seines Schulfreundes Wallner, „wenn ich aus der Schule nach Haus gefahren bin... oder wenn ich sonst irgendwo war... im Wald... oder bei euch... und ich bin wieder nach Haus gekommen... dann hab' ich eigentlich nie recht gewußt wozu.“ Zwei Jahre vergehen noch bis zu seiner Matura, und danach wird er die Universität beziehen, Zäsur seines Lebens, für den Vater aber die lang gewünschte Gelegenheit, das Haus mit der Landwirtschaft zu verkaufen. Seine Eltern trennen sich, und für den Jungen gibt es aus den Semesterferien keine Rückkehr ins Vaterhaus.

Im Rahmen dieses Geschehens wird das Milieu der Zeit um 1900 lebendig, die österreichische Landschaft und ihre Menschen, die damalige Gesellschaft und ihre ständischen Schranken, die Konventionen und die Tabus. Aber nicht nur auf den zwischenmenschlichen Beziehungen ruht Nabls Blick, er dringt auch tief in die Seele seiner Menschen, in Schichten des Unterbewußten und Unbewußten. In der Form aber ist es noch einmal hier wie überall bei Nabl die klassische meisterliche Erzählkunst des 19. Jahrhunderts in der großen Tradition Stifters. Was hier im Unterschied zu anderen seiner Romane fehlt, ist das Walten dämonischer Triebkräfte. So tritt im „Vaterhaus“ der Dostojewski verwandte Tiefenpsychologe zurück vor dem behutsamen Gesellschaftskritiker. Wir lesen, möchte man sagen, den modernen Roman eines österreichischen Fontane.

DAS VATERHAUS. ROMAN. Von Franz Nabl. Styria, Graz. 270 Seiten, Leinen. 25 DM.

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