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„Gut geblieben”

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Es ist schon so in Österreich: Die Bedeutungslosigkeit eines lebenden Schriftstellers wächst mit dem Quadrat seiner Prominenz

— nicht alle, von denen man wenig hört, sind Giganten; aber von allen Giganten hört man wenig — und umgekehrt.

Gewiß, Franz Nabl kann sich, äußerlich besehen, über Mangel an offizieller Anerkennung, insbesondere innerhalb seiner steirischen Wahlheimat, nicht beklagen. Er wird auch jetzt anläßlich seines achtzigsten Geburtstages, wie schon vielfach, gefeiert und angestrudelt werden. Aber versuchen Sie einmal, seine wesentlichen Werke im Rahmen des Handels mit neuen Büchern zu erwerben! Seit ich vor etwa einem Jahr im Rahmen der Herausgabe der Anthologie „Die gute neue Zeit” Franz Nabl (und mein schlechtes Gewissen) entdeckt habe, lese ich ihn, wann immer ich kann (das ist ein Genuß) und versuche, auf dem Weg über den Antiquariatsbuchhandel, seine Bücher zu sammeln (das ist eine Schwerarbeit).

Daß dieser unser Landsmann und Zeitgenosse nicht in der ersten Reihe unseres literarischen Bewußtseins steht, daß er nicht die gebührende Stelle als großer alter Mann unserer Literatur innehat, ist unbegreiflich und unverzeihlich

— dies um so mehr, als ja unter Lebenden im biblischen Alter kein zweiter durch sein Werk solchen Rang verdiente und als die erzählende Prosa österreichischer Provenienz überhaupt auf einigermaßen schmaler Basis ruht, sofern sie nicht von den .jungen Autoren” geliefert wird, die nun längst erwachsen (physiologisch und künstlerisch erwachsen) sind.

Im Zuge einer begreiflichen Sucht nach Wiedergutmachung überschwemmte man die Regale der Buchläden mit Leinen-und Papierbänden voll von Prosa, die vielleicht einmal denkbar, die nachgewiesenermaßen seinerzeit anerkannt und hochgepriesen, heute aber kaum lesbar ist. An Franz Nabl mußte keine Wiedergutmachung versucht werden, denn er war gut und ist gut geblieben. Zur Strafe dafür fehlt er sozusagen total in den Regalen der Buchläden deutscher Sprache.

Der große Prüfstand eines älteren Textes ist seine Lesbarkeit in einer verwandelten Welt. Franz Nabls Prosa ist lesbar geblieben, seine Sprache hält vor einer neuen Lesergeneration stand wie wenige andere deutsche Texte, die heute fünfzig, vierzig oder dreißig Jahre alt sind, Franz Nabls Prosa trägt sein Werk triumphal in die Zukunft und in jene Bezirke der Literaturgeschichte, wo nicht das

Zeitgebundene, sondern das Gültige registriert wird. Damit ist Franz Nabl in eine erlauchte Reihe österreichischer Erzähler aufgerückt, die mit Adalbert Stifter anhebt, sich in Ferdinand von Saar fortsetzt und von Arthur Schnitzler in das neue Jahrhundert geführt wird. Würdig und bruchlos fügen sich Oskar Jellinek und Franz Nabl an und stellen die Verbindung her zu jenen wenigen, welche demnächst ihren siebzigsten, beziehungsweise jenen zahlreichen, welche dereinst ihren fünfzigsten Geburtstag feiern werden.

Viele seiner Erzählungen, etwa „Der Tag eines Knaben”, „Der Tag der Erkenntnis”, „Der dritte Arm” („Der Griff ins Dunkel”), „Die Augen”, gehören nicht, zum „eisernen”, sondern zum leuchtenden, unverlierbaren Bestand unserer Novellistik. In seiner „Kindernovelle” schildert der Erzähler unvergeßbar den spannungsreichen und tragischen Zusammenstoß zwischen sehr jungen Menschen und der „erwachsenen” Generation. Der Erzähler gehört zu den Erwachsenen, aber er ist als einziger im Herzen ganz auf der Seite der Jungen — und diese Haltung scheint mir ein charakteristisches Sinnbild für den Dichter Franz Nabl.

Diese Würdigung, die Hans Weigel 1963 zum 80. Geburtstag von Franz Nabl schrieb, ist dem Band „Nach wie vor Wörter — Literarische Zustimmungen, Ablehnungen, Irrtümer” von Hans Weigel entnommen (Styria Verlag, Graz 1985).

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