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Tragödie einer Gewaltnatur

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ödhof — „Bilder aus den Kreisen der Familie Arlet.“ Roman von Franz Nabl. Osterreichische Buchgemeinschaft, Wien. 615 Seiten

Als im Jahre 1912 zum erstenmal dieser Roman des aus dem Sudetenland stammenden, seit Jahrzehnten in Graz beheimateten Erzählers erschien, fand er nicht die Beachtung, die ihm seither zuteil geworden ist. Franz Nabl, der abseits von den literarischen Strömungen jener Zelt aus eigenem Erleben heraus schuf, hat mit dieser breitangelegten Familiengeschichte, ungekünstelt, herb und deshalb um so eindrucksvoller, die Gefahren und Nöte aufgezeigt, die sich zwangsläufig für Menschen ergeben, deren Charakter nicht genügend gefestigt ist, um sich selbstsüchtigen Machtansprüchen eines anderen entziehen zu können. Ein uraltes Problem: Mißbrauch der Gewalt, in diesem Fall Mißbrauch der Vormachtstellung, die rechtens dem Familienoberhaupt zukommt, aber zu Unterdrückung und Vernichtung alles anders Gearteten führen muß, sobald das menschliche Grundgesetz der Nächstenliebe außer acht gelassen wird. All die Schrecken des überstandenen Krieges und die Mißstände, die seither den Frieden bedrohen, gehen auf dieses Machtproblem zurück und haben sich aus der Vergottung der menschlichen Natur ergeben, die sich selbst für das Maß aller Dinge hält.

Ein hochaktuelles Thema also, und all die kluinen und großen Tragödien, die sich in Nabls Roman „ödhof abspielen, dem der Verfasser bezeichnenderweise den Untertitel „Bilder aus den Kreisen der Familie Arlet“ gegeben hat, ergeben sich aus dem Zwiespalt zwischen dem nach Liebe verlangenden menschlichen Herzen und der Eigenwilligkeit eines Charakters, dem sein Ich die Welt bedeutet. Wer wollte leugnen, daß gerade Menschen, die der Anlehnung bedürfen und die, richtig geleitet, aufopfernder Taten fähig wären, in den Bann solcher Kraftnaturen geraten, um dann zu spät zu erkennen, daß sie mißbraucht werden. Gewiß, auch Johannes Arlet, der Herr de Ddhofs, der seine ganze Familie tyrannisiert, hat seine guten Seiten, ja er mag sich sogar bei Menschen, die ihm wesensverwandt sind, wie etwa am Krankenlager eines armen, verlassenen Fischers, als selbstloser Freund erweisen, aber sobald es gilt, im Kreis der eigenen Familie Entscheidungen zu treffen, dann will er alle zu harten und selbstbewußten Menschen ummodeln, zu Ebenbildern des Herrn vom ödhof. Deshalb muß das Leben seiner Geschwister verkümmern, während er seinen jüngsten Sohn In den Tod treibt. Die Fragwürdigkeit jedes menschlichen Schicksals, sofern es nur im eigenen Selbst seine Erfüllung sucht, kommt dadurch erschütternd zum Ausdru “k. Gerade weil sich Johannes Arlet so stark und unbezwingbar fühlt, treffen ihn Enttäuschungen, die andere hinnehmen würden, mit doppelter

Wucht. Dies geht aus Szenen hervor, die in ihrer Hintergründigkeit an Dostojewski] gemahnen, so unter anderem aus den Gesprächen und Auseinandersetzungen des Herrn vom ödhof mit seiner Geliebten, der Fuchstaler. So erweist sich trotz seines festgefügten Charakters die Hinfälligkeit seines Lebensprinzips.

Unter diesen Umständen kann es nicht wundernehmen, daß sich diese Familiengeschichte in einer jeder religiösen Bindung fremden Atmosphäre abspielt. Rührend ist der kindliche Glaube der alten .Dienstmagd auf dem Ddhof geschildert, aber die „religio depopu-lata“ wirkt sich nicht nur bei der Gestaltung der einzelnen Familienmitglieder, sondern auch in der Zeichnung des Pfarrers und Kaplans aus, wodurch dieses düstere Gemälde menschlicher Schuld und seelischer Irrwege noch mehr beschattet wird. Zweifellos gehört der „ödhof“ zu den bedeutendsten Schöpfungen der österreichischen Literatur. Dieser Roman ist, ungeachtet der weltanschaulich notwendigen Einschränkungen, ein Meisterwerk, das reife Leser schätzen und würdigen werden.

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