Antisemitismus nach dem Pogrom: Ten/ Seven/ Danach

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Über die ganz persönliche Angst vor antisemitischen Attacken in Österreich.

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Über die ganz persönliche Angst vor antisemitischen Attacken in Österreich.

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Einander umbringen macht für uns keinen Sinn. Für die anderen aber schon. Wann ist Friede? Wir sitzen um Milchbrot. Salz. Sabbath. Ein Spruch. Karfiolkopf, Erdäpfel, Tahin. Diese Rettungsidee vom Schutzort im Ritual ist so lieb. Aber blöd. Glaubt jemand, dass wir etwas Frieden Stiftendes sagen können? C. erzählt von den Videos. M. fragt sich, wo die Soldaten waren. Lydia erinnert sich an Bilder im Buch „Der gelbe Stern“. Dokumente der Häme. Fotos von schönen Frauen, Männern, Kindern, deren Vernichtung Gerichtsmediziner analysieren. Salz auf das Milchbrot. Schande über die Hamas, das Böse in der Welt, die Diskursverweigerung. Lächerliches Wort. Lydia, wer bist du? Lechaim. Niemals vergessen, das ist gut und richtig, vor allem, dass Lydia nicht vergisst.

Um ein Uhr früh geht sie zur U-Bahn und begegnet einem orthodoxen Juden. Er trägt seine Tracht und sie denkt schneller, als die Polizei es erlaubt, tarne dich doch! Mitten in der Zirkusgasse. In der U-Bahn kommt ihr vor: zu viele junge Berauschte, dunkle und helle, vielleicht Judenfeinde. Sie ist schon eine alte Frau und es geht sich aus zu wissen, nicht gut aufgehoben zu sein. Sie hat Die Zeit mit dem Davidstern am Titelblatt in der Hand. Wird das U-Bahn-Volk ihr Selbstverständnis stören, wenn sie Die Zeit offen liest? Ist diese Blitzüberlegung hysterischer Alarmismus oder Herabsetzung der Zivilcourage? Es ist Angst, damit ist alles gesagt. Und was wird aus ihr, wenn diese Sätze an die Öffentlichkeit geraten? Gültig ist, was L. gespürt hat. Anderntags geht sie mit ihrem Sohn durch die Stadt. Er sagt: Genau das hat die Hamas gewollt.

Wenige Stunden später wird die israelische Fahne beim Stadttempel aus der Halterung gerissen – die zwei Täter haben kein Bewusstsein für die Schande, die sie sich antun. Ein Passant mischt sich ein, ihm wird ins Gesicht geschlagen. Wo sind wir? Ich möchte, dass sich Lydia als absurd erweist, wenn Sie diese Zeilen gelesen haben werden.

Die Autorin ist Schriftstellerin.

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