Sushi und Buchweizen

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Das Ukrainische „braucht ein Zimmer für sich allein“.

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Das Ukrainische „braucht ein Zimmer für sich allein“.

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Mykola Riabchuk verlässt den „sicheren Hafen“ Paris, um nach Sapporo zu gehen. Als Stipendiaten wohnten wir Tür an Tür in Winterthur. Putin war schon in der Ukraine. Wir diskutierten bei Spaghetti und Buchweizen über Nationalsprachen im Dienst der Literatur. Ich behauptete damals, es sei egal, in welcher Sprache man schreibe, es käme auf die Umkreisung seines Verhältnisses zur Welt an. Ich fädelte Worte auf, versuchte sie zum Klingen zu bringen, was schlagartig einleuchten, aufgehen sollte. Nichts Genaues also, nur ein Anschein von etwas. Ich meinte, etwas getroffen zu haben. Da fragte mich Mykolas Frau, Natalka, wie österreichisch diese meine Aussage sei? Eine Art Ungenauigkeit für Spielerei und Schein? Sie schrieb auf Ukrainisch. Welches? Nationalsprachen seien zweischneidig per se nationalistisch. Ich fürchtete mich vor Enge und Vereinnahmung, das Deutsch als meine Sprache zu befürworten. Minderheitensprachen sind Bereicherung, ihre Pflege ist Demokratie. Meindeutsch bin ich, aber ich bin nicht deutsch. Ja, das ist österreichisch, nicht zum Deutsch zu stehen, obwohl ich Deutsch schreibe. In der Ukraine ist die Sprache auch Kampf gegen die Auslöschung von der Landkarte. Sie stellt jeden Autor dieser Sprache in die Bedeutung des zeitlichen Kontextes. Man kann das auch auf Englisch sagen. Im Prinzip braucht man Ukrainisch, Russisch, Deutsch nicht, aber doch eine Sprache. Hätten Goethe und Rilke auf Italienisch gedichtet, würde ich sie anders lieben als in ihrer deutschen Sprache, die meiner nahe kommt. Ukrainisch verlangt so wie jede Dichtkunst in Freiheit zu entstehen. Sie ist kein Nationalsprachverstärker, ihr Gebrauch macht die Bedeutung fest. Diese Einsicht führt mich zu Virginia Woolf. Das Ukrainische „braucht ein Zimmer für sich allein“. Für Mykola ist dieses Zimmer zunächst nur in Sapporo, auf ein baldiges Treffen in Kyjiw zu Sushi und Buchweizen hoffe ich.

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