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Gewichte des Unwägbaren

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Bilanzen müssen sein. Für Ämter, Gläubiger, Kunden und Zeitungen. Auch Zwischenbilanzen müssen sein. Camputer-output. Das Ziel ist die permanente Bilanz zur Zerstörung jeglichen Mißtrauens. Versteht sich, daß auch die Kunst Bilanz zu ziehen hat. Damit die Wirtschaft und die Gesellschaft wissen,’ ob sie noch kreditwürdig ist.

Solches besorgt mit Gründlichkeit der Kulturkreis im Bundesverband der deutschen Industrie alle zwei Jahre mit seinem von Rudolf de le Roi, Hans Bender, Eduard Trier und Gustav Stein bearbeiteten stattlichen „Jahresring“.

Der grundsätzliche Einwand gegen das Unternehmen, daß es nämlich wägt, was in einem raschen und immer rascheren Prozeß der Wandlungen und Umschichtungen einfach nicht zu wägen ist, dieser Einwand mindert den Wert der Publikation nicht, wenn man sich erst mit ihr ahgefunden hat. Die Illusion der Herausgeber, daß vom Kunststrom der Zeit zwar nur ein kleiner Teilstram, dieser aber dafür konstant, in die Scheuem des Bleibenden fällt, muß man als Arbeitshypothese einer Mäzenschicht nehmen, die in Konsumkategorien zu denken gewohnt ist. Tendenzen der Prosa: lange, seitenlange Sätze, wer die Sprache liebt, setzt keine Punkte. Auf dieser Basis Wiederkehr der Landschafts- und Naturschilderurag. Ein paar Namen: Fröhlich, Turnier, Rosendorfer, Lenz, Wohmann.

Tendenzen der Lyrik: reimlose, kurzzeilige, lange Strophen, Plakatives und Werbliches verfremdend, Zynisches, Resignationen. Namen: Sanders, Bongs, Bächler, Fritz, Taschau, Arndt usw.

Beachtlich die fundierten Interpretationen über Hamsun, Camus, Sar- raute, Bernhard und die deutsche Exilliteratur. Wichtig die Memorials für Mies van der Rohe, Gropius, Seitz, Heckei, Celan und Sachs. Typisch die resümierenden Berichte über neue Romane, neue Lyrik, neue Inszenierungen, neue Revolten, neue Ausstellungen und die deutschen Bildhauer auf der Weltausstellung in Osaka. Fast ein Bericht zur künstlerischen Lage der Nation. Gediegen illustriert. Der nächste Jahresring erscheint in zwei Jahren.

JAHRESRING 70/71. Lyrik — Prosa — Essay — Bildende Kunst — Chronik. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart. 431 Seiten.

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