Hamas-Anschlag: Pogrom!

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Auch die Existenz eines jüdischen Nationalstaates machte den Pogromen kein Ende. Gedanken über Freiheit und Frieden im Nahen Osten.

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Auch die Existenz eines jüdischen Nationalstaates machte den Pogromen kein Ende. Gedanken über Freiheit und Frieden im Nahen Osten.

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Pogrom! Dieses Wort huschte über die Lippen an jenem 7. Oktober, als Hamas eine an diesem Tag noch ungezählte Zahl von Menschen im Süden Israels niederschlachtete. Und viele dachten an Bialiks berühmte Worte nach dem Pogrom in Kischinjow vor 120 Jahren. „Komm in die Stadt des Schächtens, sieh mit deinen eigenen Augen und rühre an mit deiner eigenen Hand.“ Damals brachten die Ereignisse Entsetzen in ganz Europa, sogar jenseits des Atlantiks, und es war in diesem Jahr, dass die einst belächelte Bewegung des Zionismus neuen Ernst gewann. In der Logik der Zeit erschien ein souveräner Nationalstaat für das jüdische Volk die einzig schlüssige Antwort auf das Elend der Diaspora.

Nun haben wir ihn, den jüdischen Nationalstaat, doch den Pogromen machte er kein Ende. Manche bezichtigen ihn sogar selbst des Ursprungs der Gewalt. Die Geschichte aber kennt nur selten einen Ursprung, und kein Ursprung heiligt jedes Mittel der Gewalt. Widerstand ist keine Tugend für sich, noch weniger eine carte blanche der Gerechtigkeit. Umgekehrt kann auch die ratlose Logik der Vergeltung, vor der selbst Bialik warnte, in keine Zukunft weisen. Vergeltung ist nach jüdischer Lehre gar nicht Menschensache, noch weniger Sache des Staates. Li nakam veschilem – Mein ist die Rache und ich werde vergelten, so spricht nur der oberste Richter, und im Wort der Vergeltung steckt auch das Wort für Frieden – Schalom.

Freiheit und Friede sind Aufgaben des Staates. Auch dem palästinensischen Volk gebührt ein Staat. Und auch dieser soll ein Staat werden der Freiheit und des Friedens. Jenseits aller Nationalität jedoch ist uns eine Menschheit gemein, für die wir einander Bürge stehen. Jedes weitere Wort verstummt in dieser Zeit. Oder wie Margarete Susman 1946 schrieb: „Unser ist nur die grenzenlose, unauslöschliche Trauer.“

Der Autor ist Professor für moderne jüdische Philosophie an der University of Virginia, USA.

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