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Journalistiker und andere Wortakrobaten

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Das griechische Wort akröbatos bedeutet „auf den Spitzen (Fußspitzen) gehend", also eine turnerische Leistung, wie sie auch von Akrobaten im Zirkus gezeigt wird. Derart sich produzierende Artisten gibt es auch im sprachlichen Bereich.

Als Meister in der Wortakrobatik erweist sich immer wieder die deutsche Wochenzeitung „Der Spiegel". Als Robert Lemb-ke, Initiator der Fernsehsendung „Was bin ich?", gestorben war, stand im „Spiegel" ein Nachruf, wo unter anderem berichtet wird, daß Lembke ein „abgebrochener" Jurastudent gewesen sei. Das machte prompt Schule, denn bald darauf erfuhrma/i im Bayerischen Fernsehen, daß festgenommene Terroristen sich als „abgebrochene" Studenten ausgegeben hätten.

Der Drang zu weiteren neuen Wortbildungen ist damit nicht erschöpft. Wenn andere den fach-lichen Vertreter der Sprachwissenschaft Linguistik einen Linguisten nennen, so spricht der „Spiegel" von einem Linguistiker; man müßte dann analog den Germanisten als Germanistiker bezeichnen und ebenso von Anglistikern, Romanistikem, Slawistikern, Pädagogikern und so weiter reden, schließlich auch von Journalistiken!, die sich derartige Wortschöpfungen erlauben.

Neues in der Sprache

Im verbalen Bereich ist man ebenso erfinderisch. Da bildet man etwa Zeitwörter wie „beärz-tcln",,,eigensüchteln"-und vom englischen boom ein „boomen". Neues also in allen Bezirken der Sprache! Da ist die Rede von „Selbstzusammengenommen-heit", von Menschen, die „umtriebig" sind, von Anwälten, die anwaltlich" amtieren und „auf-trags" ihrer Mandanten handeln. Dem schon allerorts üblichen, häßlichen Wort „hinterfragen" wird ein „unterfordern" an die Seite gestellt - und wenn im heutigen Jugendjargon vom „anmachen" eines Mädchens gesprochen wird, dann ist man gleich mit einem Hauptwort zur Stelle, indem man „die Anmache" bildet: „Die Anmache verlief im Sand". (Alle Beispiele aus dem „Spiegel".)

Angesichts derartiger Leistungen wollen Funk und Presse nicht zurückbleiben: Im Kabarett wird „karikaturiert" (statt karikiert), ARD, in „Österreich heute" (FS 2) wird „komputerisiert", in einer Mitteilung der„Donaudampf-schiffahrtsgesellschaft" spricht man von „kilometrisieren". Ein Mann mit zwei Wohnsitzen „wohnsitzt" in Wien und Innsbruck („Kurier"), nach einer Anzeige in derselben Zeitung werden Weine „beprobt", die Stadt Linz „klangwolkt" („Österreich heute", FS 2). Von der Innenpol itik im heutigen Österreich wird behauptet, daß sie „schlag-wörtelnd" dahinhuscht („Die Presse").

Auch heutige Schriftsteller bleiben solchem Wettbewerb nicht fem. Nehmen wir als Beispiel Günter Grass. In seinem Roman „Hundejahre" hat ein Kellner „gekellnert", im Roman „Der Butt" wird die Exekution an einem Verurteilten durch den Scharfrichter verbal ausgedrückt: „er wurde scharfgerichtet". An einer weiteren Stelle des Romans wird „gezcitvveilt".

Jedenfalls läßt sich die wortschöpferische Tätigkeit unserer Zeitgenossen vielenorts feststellen.

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