7042495-1990_21_20.jpg
Digital In Arbeit

Karten-Passion

Werbung
Werbung
Werbung

Am vergangenen Sonntag wurde mit Hilfe von Minister- präsident Streibl, Kardinal Wetter und allem, was sonst nqch gut und teuer ist, die Oberammergauer Passions- spiel-Saison 1990 eröffnet.

Seit 1634 spielen sie, und seit 40 Jahren tobt der Kampf um eine Spielreform - ausgelöst vor allem von den Vorwürfen der Juden, das Spiel beziehe seine gesamte Spannung und Drama- tik aus einer verleumderischen antijüdischen Tendenz.

Neid, Haß, Mißgunst, Hab- gier, Rachsucht und Intrige der bösen, schon äußerlich, dämo- nisch und verkommen darge- stellten jüdischen Tempelscha- cherer waren in der Tat das tragende Grundmotiv der Ver- folgung des edlen Jesus und seiner braven, pastellfarben gewandeten Christenschar. Der einzige anständige Mensch war der Arier Pilatus.

Die Oberammergauer waren in der Nachkriegszeit nicht zu einer echten Reform des Pas- sionsspiels bereit, wie früher des öfteren. Sie erklärten die im Kern noch verwendete Fassung von 1860 einfach zu ihrem „ Ge- lübdespiel". Basta.

Immerhin muß man den Ober- ammergauern zugutehalten, daß sie die auch von christli- chen Theologen bestätigten antijüdischen Tendenzen aus alter antisemitischer Tradition der Christenheit inzwischen nach und nach getilgt haben, insbesondere die Kollektiv- schuld aller Juden als böswilli- ge Gottesmörder.

Allerdings haben sie seit 40 Jahren nichts Neues hineinge- schrieben, was anstelle der antijüdischen Verleumdungen die Spannung gebracht hätte. Keine Erklärung und kein logi- sches Motiv für den Konflikt zwischen dem religiösen Erneu- erer Jesus und der religiös-poli- tischen Obrigkeit des damali- gen Judentums. Darum ist das Drama jetzt so fromm und harmlos wie eine Maiandacht, die sich über eine Herz-Jesu- Andacht in eine Ölbergandacht mit anschließendem Kreuzweg hinüberschleppt.

Die größte Ironie der Ge- schichte liegt aber jetzt in ei- nem dramatischen Begleitspiel am Rande der Passion. Ein Ho- telier hat an rund 20.000 Leute aus dem Ausland Übernachtun- gen verkauft und Eintrittskar- ten zugesagt. Unglücklicher- weise hat er aber gar keine Karten gehabt, sondern nur auf Rücklaufkarten spekuliert.

Was jetzt in der Öffentlich- keit passiert, läßt die Oberam- mergauer erfahren, was Kollek- tivschuld ist. Obwohl nämlich der unseriöse Betten- und Kar- tenhändler nicht einmal ein echter Oberammergauer - ist, heißt es in fast allen deutschen Zeitungen überall nur: die „Oberammergauner" haben zu überhöhten Preisen nicht vor- handene Karten verkauft.

Vielleicht stärkt das die Re- formbereitschaft, wenn man ertragen muß, unschuldig an- geklagt und verfolgt zu werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung