Causa Aiwanger: Hässliche Prozentpunkte

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Über ein Fremdschäm-Drama, das gerade politisch belohnt wird.

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Über ein Fremdschäm-Drama, das gerade politisch belohnt wird.

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Seit vielen Jahren ist das antisemitische Pamphlet in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau zu begrausen. Lange galt der Verfasser als unbekannt. Jetzt weiß ganz Deutschland, dass er Aiwanger heißt. Herbert, mit Vornamen, war laut eigenen Angaben der Schreiber, der im Schuljahr 1987/88 an seinem Gymnasium Flugblätter verteilte, auf denen „dem größten Vaterlandsverräter“ u. a. ein „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“ angepriesen wurde.

Sein jüngerer Bruder Hubert, damals 16 Jahre alt, hat „ein oder mehrere Exemplare“ des braunen Papiers im Schulranzen mit sich geführt. Ob er diese verteilt hat, entzieht sich der Erinnerung, die Hubert Aiwanger mit der Öffentlichkeit zu teilen bereit ist. Herbert hat es zum Waffenhändler gebracht, Hubert immerhin zum stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten.

An dieser Stelle soll nicht wieder das Fremdschämdrama wiedergegeben werden, das mit Abstreiten und Drohungen gegen die berichtende Presse begann, schließlich zu Teileingeständnissen und einer missglückten Entschuldigung führte. Entscheidend ist, wozu es geführt hat. Die Gedenkstätte Dachau könnte ihre Ausstellung um eine Konkretisierung erweitern: „Besitz und mögliche Verbreitung des Hass-Pamphletes werden 35 Jahre später in Bayern nach aktuellen Umfragen mit zusätzlichen vier Prozentpunkten für die Freien Wähler belohnt, deren Parteivorsitzender Hubert Aiwanger ist. In den Bierzelten trumpft er noch lauter auf als zuvor und erntet frenetischen Jubel. Von Scham, Rücktritt oder Entlassung keine Rede.“

Andere Möglichkeit: In Dachau entfernen sie das Pamphlet ganz aus ihrer Ausstellung. Handelt es sich doch um eine „Jugendsünde“, für die man sich nicht mehr schämen muss. Die Causa Aiwanger ist ein Desaster – besonders für unsere Erinnerungskultur.

Die Autorin ist Redaktionsleiterin Ausland und politischer Hintergrund beim Bayerischen Rundfunk.

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