Ukraine: Eingefrorener Krieg oder echter Frieden?

19451960198020002020

FURCHE-Kolumnist Manfred Prisching reflektiert über Zukunftsszenarien im Ukraine-Krieg und den Unterschied zwischen "eingefrorenem Krieg" und echtem Frieden.

19451960198020002020

FURCHE-Kolumnist Manfred Prisching reflektiert über Zukunftsszenarien im Ukraine-Krieg und den Unterschied zwischen "eingefrorenem Krieg" und echtem Frieden.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Entsetzen über das grausige Ukraine-Ereignis nimmt mit der Zeitdauer ab, wenn man nur weit genug entfernt ist. Aber da Putins Blitzübernahme gescheitert ist und selbst sein konventioneller Krieg steckenbleibt, hat er eine verbliebene Perspektive: aussitzen, bis ein Trumpoid an die Macht kommt. Dann sind die Amis weg, und die Europäer werden wankelmütig. Das Gegenbild bei den Ukrainern: durchhalten, bis bei den Russen Sicherheitsorgane revoltieren und den Führer beseitigen.

Was kommt dann? Wie so häufig wird das Ziel das „Einfrieren“ eines ungelösten Gewaltkonflikts sein. Ein Waffenstillstand an vereinbarten Grenzen. Kein wechselseitig akzeptierter Kompromiss, sondern Misstrauen, Übergriffe, Belauern. Stabilisierung durch Garantien von außen. Aufrüstung und Wachsamkeit.

Solche frozen conflicts finden sich vielerorts. Ziemlich frostig zwischen Nord- und Südkorea. Ein prekärer Zustand auf dem südlichen Balkan. Stabiler in Zypern. Brisant in den südlichen Teilen der Ex-Sowjetunion. Nicht gänzlich eingefroren, sondern im ständigen Scharmützelstatus in der Israel-Palästina-Konstellation.

Man kann aber auch die Nachkriegssituation Europas aus der vermeintlichen Friedenssituation in den Gefrierstatus hinunterstufen; schließlich liefen bewaffnete Grenzzäune quer durch die Landschaft. Dass die Europäer diese Lage als dauerhaft erreichten Friedenszustand wahrgenommen haben, war ein geschöntes Bild. Diese Illusion wurde durch die Ukraine zerstört. Aber mit geringerer europäischer Aufmerksamkeit wurde schon vorher andauernd geschossen und gebombt: Syrien, Libyen, Jemen, Zentralafrika, andernorts. Man lernt, dass „Frieden“ normalerweise als Kriegspause verstanden werden kann – und temporär eingefrorene Feindseligkeit als Desiderat. Welch eine Welt!

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung