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Kommen Sie mit einem Behandlungsschein

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„Sie können kommen mit einem Behandlungsschein, telephonisch geb’ ich keine Auskünfte, Ihnen hab’ ich kernen Brief geschrieben, ich weiß gar nicht wovon Sie sprechen“, sprudelt die aufgeregte Stimme mit leicht slawischem Akzent am anderen Ende ins Telephon. Die Stimme meldete sich unter der Telephonnummer der Wiener Ärztin Dr. Mihaela Radauer, der in diesen Wochen ein Disziplinarverfahren der Ärztekammer ins Haus steht, weil sie unter bundesdeutschen Arzt- kollegen für die in ihrer Wiener Ordination durchgeführten Schwangerschaftsunterbrechungen („Ihr Honorar bleibt aufrecht!“) geworben hatte.

Am 21. November 1976 verfaßte die Wiener Ärztin einen längeren Rundbrief folgenden Inhaltes an deutsche Ärzte: „Ich erlaube mir, Ihnen meine ab 1. Dezember 1976 gültigen, neuen Ordinationszeiten bekanntzugeben Schwangerschaftsunterbrechungen werden weiterhin täglich, vormittags und nachmittags sowie am Wochenende (unterstrichen) durchgeführt (in Lokalanästhesie oder in Kurznarkose mit Thiopental und N2O + O2 mit der Absaugmethode und nachkürettieren). Da ich derzeit auch mit einem anderen Kollegen, Fa f. Gynäkologie, arbeite, werden die Kosten des Eingriffes geringer und die Pat. können auch unangemeldet in der Früh kommen, müssen aber nüchtern sein; und unter Umständen mit einer Wartezeit von 6 (sechs) Stunden rechnen Für Zuweisungen im voraus bestens dankend, verbleibe ich mit kollegialer Hochachtung M. R.“

Folge des Werbeschreibens: Die „World Federation of Doctors who re- spect human Life“ sandte der österreichischen Ärztekammer ein gesalzenes Protestschreiben, in dem darauf hingewiesen wird, daß die Schwangerschaftsunterbrechung generell in der Bundesrepublik verboten sei und daß es sich daher bei Radauers Brief „um den Versuch einer Bestechung zur Begehung von Verbrechen“ handle. Die Anrede „Kolleginnen und Kollegen“ durch die österreichische Ärztin bezeichnet das Protestschreiben als „eine schwere Beleidigung für jeden verantwortungsbewußten Arzt, der sich an seine hippokratische Verpflichtung gebunden weiß“. Der Verband, dessen-Brief einige Dutzend Unterschriften deutscher Ärzte zieren, fordert die Ärztekammer auf, gegen die Wiener Ärztin disziplinarisch vorzugehen und sie „notfalls aus der österreichischen Ärzteschaft auszuschließen“.

Die österreichische Ärztekammer hat das Disziplinarverfahren gegen die Fristenlösungs-Ärzte wegen standeswidrigen Verhaltens mittlerweile bereits eingeleitet. Die Ärztin hat mindestens mit einem Verweis, wahrscheinlich mit der Zahlung der etwa 50fachen Kammerumlage (rund 50.000 Schilling) vielleicht aber auch mit dem vorübergehenden Entzug der Berufserlaubnis zu rechnen.

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