6867015-1978_07_12.jpg
Digital In Arbeit

Labyrinth der Gefühle

19451960198020002020

In vollem Gegensatz zu früheren Bühnenwerken sieht man in neuen Stücken fast ausschließlich Durchschnittsmenschen, kleine Leute auf der Bühne. Es entspricht das unserem Kollektivzeitalter. Eine seltene Ausnahme bildet das Stück „Sonnenfinsternis“, das der 32jährige Engländer Christopher Hampton, von dem unsere Großbühnen bereits zwei Stücke spielten, vor zehn Jahren im Alter von 22 Jahren geschrieben hat. Es wird derzeit vom Theater in der Josefstadt in den Kammerspielen unter dem Motto „Aus der Reihe“ an Montagen aufgeführt.

19451960198020002020

In vollem Gegensatz zu früheren Bühnenwerken sieht man in neuen Stücken fast ausschließlich Durchschnittsmenschen, kleine Leute auf der Bühne. Es entspricht das unserem Kollektivzeitalter. Eine seltene Ausnahme bildet das Stück „Sonnenfinsternis“, das der 32jährige Engländer Christopher Hampton, von dem unsere Großbühnen bereits zwei Stücke spielten, vor zehn Jahren im Alter von 22 Jahren geschrieben hat. Es wird derzeit vom Theater in der Josefstadt in den Kammerspielen unter dem Motto „Aus der Reihe“ an Montagen aufgeführt.

Werbung
Werbung
Werbung

Es geht um zwei Große der französischen Literatur von internationaler Bedeutung, die mit Baudelaire und Mallarme die moderne Lyrik initiierten. Es geht um das persönliche Schicksal von Verlaine und Rimbaud, um ihre homoerotische Beziehung. Der gut bürgerlich verheiratete, 27jährige Verlaine lädt den ihm unbekannten, mittellosen, um zehn Jahre jüngeren Rimbaud, dessen Gedichte ihn faszinieren, zu sich ein, verfällt ihm, verläßt Frau und Kind, die beiden nunmehrigen Freunde leben 1872 und 1873 als Vagabunden in England und Belgien. In neun von zwölf Szenen wird ihr krisenreiches Ineinander-Verflochtensein gezeigt. Der bisexuelle Verlaine liebt ebenso stark seine Frau, die er im Rausch brutal mißhandelte. Er sehnt sich nach ihr zurück, während er mit dem Jüngeren in miesen Hotelzimmern liegt. Rimbaud ist von ihm finanziell abhängig, droht dennoch ständig, ihn zu verlassen, beherrscht ihn dadurch.

Verlaine schildert in seinem Erinnerungsbuch „Meine Gefängnisse“, daß er in Absinthbesäufnis mit Rimbaud in Brüssel einen Wortwechsel auf offener Straße hatte, auf ihn zwei Revolverschüsse abgab, von denen einer seinen Freund leicht verletzt, worauf der Attackierte davonrannte, was keine weiteren Folgen gehabt hätte, wäre nicht ein Polizist in der Nähe gewesen. Diese Szene spielt im Stück in einem Hotelzimmer, Rimbaud blutet aus der Hand, es gibt keinen Polizisten. In der nächsten, der zehnten Szene, wird Verlaine zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die er dann in Möns absitzt.

Gelingt es nun Hampton, glaubhaft zu machen, daß diese beiden homoerotisch eingestellten jungen Männer Persönlichkeiten von besonderer geistiger Potenz sind? Bei Verlaine kaum, aber diese Gestalt ergreift durch die beiden einander entgegenstehenden, überaus starken Liebesgefühle, die ihn in ständigen Kinflikt und dadurch in eine Schwächesituation bringen. Der kalte, zynische, rüde Rimbaud, für den Liebe nicht existiert, der es ablehnt, „eine angenehmere Welt zu schaffen als sie Gott geschaffen hat“, in ihm spürt man durchaus den Dichter brodelnder Erregungen, dynamischer Lyrik.

„Meine Gefängnisse“ läßt sich an Gehalt etwa mit Wildes „De Profun-dis“ nicht vergleichen. Aber Verlaine berichtet von einer außerordentlichen Umwälzung, von seiner Konversion im Gefängnis. Er war erleuchtet, schreibt er, er empfand unermeßliche Reue, die sicherlich der Größe seiner Schuld angemessen war. In der nächsten Szene, die nach der Entlassung aus dem Gefängnis spielt, trifft der konvertierte Verlaine seinen früheren Freund im Schwarzwald, will ihn bekehren, denn der Tag seiner eigenen Bekehrung war einer der glücklichsten Tage in seinem Leben. Aber Rimbaud hat nur Verachtung für ihn, stößt ihn brutal nieder. Diese Frage der Konversion, diese so tief greifende Frage, ist freilich allzusehr nur angedeutet.

Wir kennen Briefe von Verlaine an Eugenie Krantz, die ihn abermals in Konflikt zweier Liebesgefühle zeigen. Er schreibt ihr, bei der er zeitweise lebt, er werde Esther immer lieben, aber er liebe sie, Eugenie, gleichfalls. Esther? Sie betrog ihn, nützte ihn aus, bestahl ihn. In der letzten Szene des Stücks, die 1892, vier Jahre vor Verlai-nes Tod, in einem Cafe spielt, spricht er mit Eugenie, die im Programmheft als Prostituierte bezeichnet wird, sie erwähnt Esther nur kurz, etwas eifersüchtig. Rimbauds Schwester kommt, um von Verlaine Manuskripte ihres vor einem Jahr verstorbenen Bruders zu erbitten. Es soll „Spreu von Weizen“ gesondert werden. Verlaine wird die Bitte nicht erfüllen. Wir erfahren später noch vom späteren Leben Rimbauds, der als Zwanzigjähriger zu dichten aufgehört hatte, er war später Bauberater in Zypern, im Handel tätig in Aden, in Abessinien. Von seinem Eintritt in die holländische Armee, seiner Desertion in Sumatra ist nicht die Rede. Das eine seiner Beine mußte wegen eines Tumors am Knie abgenommen werden. Es berührt Verlaine seltsam, auch er leidet an einem Tumor am Knie. Gibt es abstruse Zusammenhänge? Noch eine Gemeinsamkeit: Auch Rimbaud konvertierte. Kurz vor seinem Tod.

Es gelingt Hampton, uns beide Dichter menschlich nahe zu bringen. Das ist in der Aufführung auch der feinfühligen Regie vonDietrichHaugk und der deckenden Besetzung fast aller Rollen zu danken. Michael Boettge hat die Kälte, die Überlegenheit, die Ausstrahlungskraft, die den jugendlichen Rimbaud kennzeichnet. Rudolf Jusits wirkt glaubhaft in der ständigen Angst, entweder Rimbaud oder die Frau zu verlieren. Zwei sehr bemerkenswerte Leistungen. Verlaines Frau erhält durch Elisabeth Danihelka schlicht sympathische Züge, Erni Mangold zeichnet die Eugenie mit besonderer Schärfe. Gabriele Blum überzeugt als Rimbauds kleinbürgerliche Schwester. Michael Toost und Helly Servi vertreten als Schwiegereltern Verlaines die Bourgeoisie jener Zeit. Der Bühnenbildner Roman Weyl begnügt sich damit, die Schauplätze durch Möbel und durch Fensterausschnitte im schwarzen Hintergrundprojekt, einmal mit einem Versatzstück, anzudeuten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung