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Lebensweg einer Künstlerin

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Günter Busch, der Direktor der Bremer Kunsthalle, schrieb die Einleitung, Liselotte von Reinken zeichnet verantwortlich für den umfangreichen editorischen Apparat, der bewundernswert ist in seiner Akribie und seiner die Materie ausschöpfenden Fülle.

Lange war es üblich, die Gestalt der Paula Modersohn-Becker ins Gefühlvoll-Schwärmerische zu deuten. Dagegen wendet sich Busch schon um ihres künstlerischen Werkes willen - mit seinem hohen Anspruch, seinem Ernst und seiner Strenge. Dazu bieten sich für den heutigen Leser auch noch andere Gesichtspunkte an, die die Künstlerin interessant machen: als frühe Zeugin für die Emanzipation der Frau und als Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Zeit.

Höchstes Lebensziel für Paula Modersohn-Becker war die künstlerische Vollendung als Malerin, doch stößt man in ihren Briefen und Tagebüchern nur selten auf Aussagen über ihr künstlerisches Schaffen. Einmal, im Tagebuch vom 1. Oktober 1902, nennt sie ihre persönliche Empfindung „die Hauptsache“, ein andermal, in einer Eintragung vom 25. Februar 1903, ersehnt sie für sich „die große Einfachheit der Form“. Mitten in das Wesen ihrer Kunst führt auch eine Tagebucheintragung Otto Modersohns vom 26. September 1903: „Paula haßt das Konventionelle und fällt nun in den Fehler, alles lieber eckig, häß-' lieh, bizarr, hölzern ' zu machen. Die Farbe ist famos - aber die Form? Der Ausdruck! Hände wie Löffel, Nasen wie Kolben, Münder wie Wunden, Ausdruck wie Cretins. Sie ladet sich zuviel auf. Zwei Köpfe, vier Hände auf kleinster Fläche, unter dem tut sie es nicht, und dazu Kinder.“ Schroff gegenüber stehen sich hier die Welt der alten impressionistischen Malerei und die vorgeahnte Malerei einer neuen Zeit. Ohne schon expressionistisch zu sein, führt Paula Modersohn-Beckers Kunst hinüber in den Expressionismus der Zeit vor 1914, aber auch in den neuen Realismus der zwanziger Jahre. Erst uns Heutigen ist aus der historischen Distanz die Modernität und Größe ihrer Kunst wirklich bewußt geworden.

PAULA MODERSOHN-BEK-KER IN BRIEFEN UND TAGEBÜCHERN. Herausgegeben von Günter Busch und Liselotte von Reinken. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1979, 560 Seiten, öS 505,60.

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