"… und fort von allem"

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Zum 100. Geburtstag der deutschen Malerin Paula Modersohn-Becker.

Wie schade!" So die letzten Worte von Paula Modersohn-Becker, bevor sie am 20. November 1907 plötzlich neben ihrem Säugling tot zusammenbrach. Laut schriftlichen Aufzeichnungen ihrer Freundin Clara Rilke-Westhoff soll Modersohn-Becker noch Minuten davor gesagt haben: "Nun ist es fast so schön wie Weihnachten." Der tragische unerwartete Tod - Modersohn-Becker starb an einer Embolie nur drei Wochen nach der Geburt ihres lange ersehnten ersten Kindes und zugleich am Höhepunkt ihres künstlerischen Schaffens - haben zur Mythenbildung rund um die faszinierende Wegbereiterin der Moderne beigetragen.

Lange hat das unkonventionelle und für damalige Verhältnisse ausgesprochen emanzipierte Leben den Blick auf die Formensprache und die Aussagen des umfangreichen Werks verstellt. Ähnlich wie bei Vincent van Gogh und Frida Kahlo dominierten Jahrzehnte - begünstigt durch die bald nach ihrem Tod publizierten Briefe und Tagebücher - Legenden um die zu Lebzeiten verkannte, postum aber bald zu Ruhm gelangte deutsche Künstlerin. Während Modersohn-Beckers Bilder bei ihrer ersten Ausstellungsteilnahme 1899 von Kritikern als "Ekelgeschichten eines rohen Patrons, welche einem für lang den Appetit verschlagen können" abgetan wurden, widmete man ihr bereits 1927 als erster Künstlerin weltweit ein eigenes Museum.

Moderne Madonna

Der dramatische und frühe Tod, der lange nicht in Erfüllung gegangene Wunsch nach Mutterschaft, gekoppelt mit ihren Mutter-Kind-Gemälden und die On-Off-Beziehung mit dem angesehenen Maler Otto Modersohn haben ein sentimental-verklärtes Bild der Malerin als eine Art moderner "Mutter Gottes" entstehen lassen. Ein Bild, das auch der Dichter Rainer Maria Rilke begünstigte, der für die Freundin 1908 ein "Requiem" schrieb, in dem er die Verbindung von Einsamkeit und Genie sowie die Kürze ihres Lebens als Garant für die Qualität ihres Werks festschreibt und die Malerin zur Heiligen stilisiert: "So ohne Neugier war zuletzt dein Schauen / und so besitzlos, von so wahrer Armut, / dass es dich selbst nicht mehr begehrte: heilig. / So will ich dich behalten, wie du dich / hinstelltest in den Spiegel, tief hinein / und fort von allem."

Zu ihrem 100. Todestag ist Paula Modersohn-Becker gefragter denn je. Zwei Ausstellungen in Bremen verorten ihr Werk in internationalem und historischem Zusammenhang. Im Paula Modersohn-Becker Museum zeigt man den Einfluss der ägyptischen Mumienporträts auf ihre Kunst, in der Kunsthalle Bremen widmet man sich der Pariser Zeit und macht anhand von Bildvergleichen auf die Berührungspunkte zwischen Modersohn-Becker und der französischen Avantgarde aufmerksam.

Heute gefragter denn je

Auch für den Buchmarkt ist das Jubiläum ein Fest. Zu den bereits unzähligen Biografien hat sich etwa Barbara Beuys' Buch gesellt, in dem Modersohn-Beckers Kunst und Leben vor dem Hintergrund der Frauenbewegung und den historischen Hintergründen beleuchtet werden. Lesenswert ist auch die sachliche und angenehm unpathetisch formulierte Monografie von Rainer Stamm, dem Leiter des Bremer Paula Modersohn-Becker Museums, der stark darauf bedacht ist, Kunst und Biografie nicht zu vermischen.

Das ungebrochene Interesse an Paula Modersohn-Becker ist allzu verständlich, denn in knapp vierzehn Jahren künstlerischen Schaffens hat die Frühexpressionistin ein gigantisches Werk mit etwa 700 Bildern und 1000 Zeichnungen hervorgebracht, das sowohl formalästhetisch als auch Inhalte und Motive betreffend seiner Zeit weit voraus war. Ebenso fasziniert der künstlerische Werdegang, da er den Weg einer intellektuellen Frau an der Wende zum 20. Jahrhundert zeigt, die um Autonomie und finanzielle Unabhängigkeit von Vater und Mann ringt.

Zugleich sucht Modersohn-Becker zeitlebens nach einer Vereinbarkeit von Selbstverwirklichung in Form ihrer Kunst und Familienleben. Der damals weit verbreiteten These des deutschen Kunstkritikers Karl Scheffler, nach der Frausein und Künstlersein einander ausschließen, erteilt sie eine radikale Abfuhr. "Ich werde noch etwas", gab sich Modersohn-Becker trotz aller Geringschätzung ihres Werks zu Lebzeiten überzeugt. "Wie groß oder wie klein, das kann ich selbst nicht sagen, aber es wird etwas in sich Geschlossenes." Modersohn-Becker wünscht sich ein Kind und dennoch möchte sie, als sie endlich schwanger ist, nicht auf die Rolle der Windeln wechselnden Mutter reduziert werden: "Auch schreibe mir nie mehr eine Postkarte mit, Windeln' oder, froher Nachricht'", ermahnt sie ihre Schwester.

Zur Malerin fühlte sich die 1876 in Dresden geborene Tochter aus bürgerlichem Hause bereits als Jugendliche berufen. Nach einer zweijährigen Ausbildung an einer privaten Mal- und Zeichenschule in Berlin zieht es sie 1898 in die nördlich von Bremen gelegene Künstlerkolonie Worpswede, wo sie Unterricht bei dem Figurenmaler Fritz Mackensen erhält. Hier lernt sie auch ihren späteren Mann Otto Modersohn kennen und begegnet erstmals Rainer Maria Rilke, mit dem sie bis zu ihrem Tod in Verbindung bleibt. In Worpswede entstehen impressionistische lyrische Naturbilder, die allerdings bereits in dem reduzierten Bildaufbau und der Abkehr vom Tiefenillusionismus die Entwicklung in Richtung einer expressiven Malerei andeuten, in der pastos und flächig aufgetragene Farben und eine monumentale ausdrucksstarke Formensprache bestimmend sind. "Die große Einfachheit der Form, das ist etwas Wunderbares", schreibt Paula Modersohn-Becker in ihren Tagebüchern.

Flucht nach Paris

Bald flüchtet Modersohn-Becker aus der provinziellen Enge nach Paris und folgt somit der Bildhauerin und späteren Rilke-Frau Clara Westhoff, die ihr in Worpswede zur "Freundin und Schwesternseele" geworden war. In Paris, wo Modersohn-Becker sich im Laufe ihres kurzen Lebens viermal aufhält, findet sie entscheidende Inspirationen für ihre Kunst. Neben der Begegnung mit antiken Porträts und Figurendarstellungen außereuropäischer Kunst sind es vor allem die Werke Paul Cézannes oder die Bilder der Künstlergruppe "Nabis", die sie bestätigen, einen radikal eigenwilligen Stil zu entwickeln.

Wie ungemein innovativ Modersohn-Beckers Œuvre inhaltlich und formal ist, spiegeln vor allem die etwa dreißig gemalten und mehr als zwanzig gezeichneten Selbstporträts, in denen die Künstlerin ihrer physischen wie psychischen Befindlichkeit ausdrucksstark und ungeschönt auf den Grund geht. Zu den Ikonen der frühen Moderne zählt ihr 1906 in Paris entstandenes "Selbstporträt am sechsten Hochzeitstag". Der Halbakt entstand zu einer Zeit, in der die damals Dreißigjährige ihren Mann verlassen hatte und nach Paris gegangen war, um sich ausschließlich ihrer Kunst zu widmen. Zu sehen ist eine selbstbewusst aus dem Bild blickende Frau mit nacktem Oberkörper vor einem zitronengelben grün getupften Hintergrund. Ihre Hände umfassen den leicht gewölbten Bauch. Ein Umstand, der dazu führte, dass das Gemälde oft als Darstellung einer Scheinschwangerschaft gedeutet wurde.

Erster weiblicher Selbstakt

Kunsthistorisch revolutionär ist dieses Bild aber vor allem deshalb, da es sich wohl um den ersten Selbstakt einer Frau handeln dürfte, wie Rainer Stamm in seiner Monografie ausführt. Vor Modersohn-Beckers Darstellung waren Frauen in vergangenen Jahrhunderten zwar stets Objekte männlicher Gemälde, aber dass eine Frau sich selbst jenseits des männlichen Blicks malt - undenkbar.

Mit ihren Selbstbildnissen hat Modersohn-Becker ein malerisches Manifest der Emanzipation geschaffen. Somit avancierte sie im Laufe des 20. Jahrhunderts zur Vorreiterin der Österreicherinnen Maria Lassnig, Valie Export, Friederike Pezold und Elke Krystufek oder der internationalen Künstlerinnen wie Frida Kahlo oder Cindy Sherman, die alle ebenfalls den weiblichen Körper zum Thema ihrer Kunst erklärten.

Buchtipps:

Paula Modersohn-Becker Wenn die Kunst das Leben ist

Von Barbara Beuys. Carl Hanser

Verlag, München 2007.342 S. mit

Fotos u. 16 Farbtafeln, geb., € 25,60

"Ein kurzes intensives Fest"

Paula Modersohn-Becker. Eine Biographie. Von Rainer Stamm

Philipp Reclam Verlag, Ditzingen 2007

260 S. mit 30 Abb., geb., € 20,50

Ausstellungstipps:

Paula Modersohn-Becker und die Kunst in Paris um 1900

Kunsthalle Bremen, bis 24. 2. 2008 Info: www.paula-in-paris.de

Paula Modersohn-Becker und die ägyptischen Mumienporträts

Kunstsammlung Böttcherstraße

Bremen, Paula Modersohn-Becker

Museum, bis 24. 2. 2008

Info: www.pmbm.de

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