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LUKIAN

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„Ein Dissident sucht Verbindung zu Ihnen“, sagte der Sekretär des Außenministers Vance zu Außenminister Vance.

„ Um Gotteswillen, steht er draußen?“ sagte Vance.

„Nein, natürlich nicht“, sagte der Sekretär. „Das Hotel ist hermetisch abgeriegelt. Im Umkreis von 300 Metern miß sich jeder Passant ausweisen, ein paar Leute, die Sie sprechen wollten, wurden bereits abgeführt.“

,jSie dürfen mich nicht für einen Zyniker halten“, sagte Cyrus Vance, „Sie wissen, wie sehr ich mit diesen Menschen fühle. Aber wir dürfen die Abrüstungsverhandlungen nicht gefährden. Sie sind zu wichtig, um durch Zwischenfälle gestört zu werden. Wo ist eigentlich der Dissident, der mich sprechen will? Wie konnte er zu Ihnen Vordringen? So ganz verlassen kann man sich anscheinend auf die sowjetische Geheimpolizei doch nicht!“

„Ein Hotelportier hier im Hause kennt mich von einer früheren Reise“, sagte der Sekretär, „und der Dissident hat sich über einen sehr verläßlichen Freund, der sich an einen anderen sehr verläßlichen Freund wandte, Über den sehr verläßlichen Bekannteneines weiteren sehr verläßlichen Mannes an den sehr verläßlichen Kollegen des Hotelportiers gewendet, der mir die Angelegenheit zugeflüstert hat.“

„Unangenehm, sehr unangenehm“, sagte Cyrus Vance, „der Präsident hat leicht reden, und ich als sein Außenminister muß die Sache jetzt in vorderster Linie ausbaden. Was soll ich bloß tun? Wenn ich dem Mann eine völlig kalte Schulter zeige, erzählt eres dem erstbesten westlichen Korrespondenten und die amerikanische Außenpolitik gerät ins Zwielicht, weil wir uns so tapfer für die Menschenrechte der sowjetischen Dissidenten eingesetzt haben und ich jetzt einen von ihnen abweise. Empfange ich ihn aber und die sowjetische Geheimpolizei erfährt es, tritt mir der Gromyko morgen als Eisberg entgegen und wir müssen ihm mindestens um 500 Interkontinentalraketen oder das Äquivalent von 2000 taktischen Kurzstreckenraketen mehr zugestehen, um ihn wieder aufzutauen. Steht das dafür?“

„Nein“, sagte der Sekretär, „aber welche Botschaft von Ihnen soll ich dem Mann nun übermitteln?“

„Lassen Sie ihn einfach wissen, es sei in seinem Interesse, wenn ich ihn nicht empfange. Es wäre zu gefährlich für ihn“, sagte Vance.

„Er will Sie aber offenbar gar nicht sprechen“, sagte der Sekretär, „er will Ihnen nur ein Papier übermitteln, auf dem die Namen von ein paar Dutzend seiner Freunde stehen, die offenbar alle verhaftet worden sind oder in sogenannten Irrenhäusern sitzen.“

„Um Gotteswillen“, sagte Vance, „das ist ja noch viel, viel schlimmer! Wenn der Portier das Papier Ihnen übergibt, müssen Sie es mir übergeben, wenn Sie es mir übergeben, muß ich es dem Präsidenten übergeben, und wenn ich es dem Präsidenten übergebe, muß er über das Schicksal dieser armen, bedauernswerten Menschen sprechen, und wenn er über das Schicksal dieser Menschen spricht, dann haben wir womöglich wieder den Kalten Krieg.’ Wenn wir aber den Kalten Krieg wieder haben, kann der Präsident sich nicht einmal für jene paar Dissidenten einsetzen, deren Namen ihm schon zugespielt worden sind. Es ist also nur im Irtteresse dieser Bedauernswerten, wenn jetzt eine Weile Ruh’ ist.“

„Und was soll ich dem Portier sagen?“ sagte der Sekretär.

„Sagen Sie ihm“, sagte Vance, „daß wir uns in aller Stille unaufhörlich für die Opfer des in der Sowjetunion ausgeübten Gesinnungsterrors einsetzen, oder nein, sagen Sie lieber: für Menschen, die in manchen Ländern wegen ihrer Meinungen leidereinem gewissen Druck ausgesetzt sind.“

Vance erbleichte, als nach einem kurzen Klopfen an der Tür zwei sowjetische Geheimpolizisten mit dem Hotelportier in der Mitte das Zimmer betraten.

„Entschuldigen Sie die Störung“, sagte der Portier, „ich ersuche Sie schon seit Tagen über Ihren Sekretär um einen Termin für die Überreichung einer Protestschrift gegen den Meinungsterror in den USA. Mißverstehen Sie uns nicht, es handelt sich um eine reine Formalität, aber wir tun nur unsere Pflicht, wir müssen unser Soll erfüllen. Wann paßt es Ihnen denn?“ „Jederzeit“, sagte Cyrus Vance strahlend, „ich nehme Ihren Protest entgegen, wann immer es Ihnen paßt.“

„Ich muß den Kerl mißverstanden haben“, sagte der Sekretär, als der Portier gegangen war, „es ist mir furchtbar peinlich.“

„Zum Glück kann man sich auf die hiesige Geheimpolizei offenbar doch verlassen“, sagte Cyrus Vance, „und das ist manchmal ein Glück.“

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