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Zwist der guten „zweiten Männer”

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Die amtliche Verbriefung des Iran-Debakels vor den Zeitgenossen und der Geschichte ist der Rücktritt von Außenminister Cyrus Vance. Wenn ein Diplomat vom Stil Vance und Repräsentant der alten Schule so stark von der Routine abweicht, daß er seinen Rücktritt mit einer von ihm als falsch erachteten Politik motiviert, so will er damit ein historisches Zeichen setzen.

Sonst werden ja Rücktritte gewöhnlich mit angegriffener Gesundheit begründet, bei Vance übrigens ein durchaus zutreffender Bezug: Er hatte ja schon seit geraumer Zeit angekündigt, er wolle nach Ablauf dieser Regierungsperiode abtreten.

Der Wechsel an der Spitze des State Department von Vance zu Senator Muskie wird zunächst mit dem Konflikt zwischen State Department und dem Sicherheitsberater des Präsidenten, Zbigniew Brzezinski, sowie dessen Amt in Zusammenhang gebracht: ein Konflikt der in dieses sehr umstrittene System außenpolitischer Interessenwahrung sozusagen eingebaut ist.

Natürlich hat der Präsident bei schnellen außenpolitischen Entscheidungen das Bedürfnis, die gewaltige und schwerfällige Bürokratie des State Department zu umgehen, und eigene Untersuchungen anzustellen. Aber es ist ebenso verständlich, daß es ein Außenminister übelnimmt, wenn im Weißen Haus eine Art Behelfs-State Department entsteht, welches eine abweichende Politik verfolgt. Daß dieser latente Konflikt durch die konträren Typen Vance und Brzezinski besonders akzentuiert wurde, hat zum Konflikt wesentlich beigetragen.

Secretary of State Cyrus Vance ist ein ausgezeichneter „zweiter Mann”. Schon Kissinger hatte ihn sich auf diesem Posten gewünscht, als er selbst Sicherheitsberater Nixons wurde. Nixon hatte dann einen „anderen Vance” ernannt, nämlich seinen Bürokollegen Rogers. Wie dieser war Vance während seiner Amtszeit korrekt und diszipliniert, eine Art Sektionschef der alten Schule. Überdies ein loyaler Diener seines Herrn, der sich auch nicht scheute, in der blamablen Affäre der UNO-Ab-stimmung über Jerusalem Schuld auf sich zu nehmen, obgleich breite Kreise dieses Mißgeschick dem Präsidenten selbst anlasten.

Vance war jedoch kein kreativ denkender Außenminister. Es fehlte ihm das Konzept über das Wechselspiel der Kräfte in der Innen- und Außenpolitik, das Gefühl für die eingebaute Dynamik in gewissen Weltproblemen und erst recht eine Zukunftsvision. Die Erhaltung des Status quo schien das höchste Ziel.

Verhängnisvoll für die westliche Welt jedoch, daß der Gegenspieler von Vance, Sicherheitsberater Brzezinski, auch kein „erster Mann” ist und diesem gleichfalls ein globales Konzept fehlt.

Als ehemaliger Universitätsprofessor verfügt er wohl über Kenntnisse historischer Zusammenhänge und fragmentarische Vorstellungen von komplexen internationalen Situationen. Als gebürtiger Pole hat er auch eine angeborene Skepsis gegenüber den Zielen der Sowjetunion. Seine sprunghafte Natur disqualifiziert ihn jedoch für eine Aufgabe globaler Interessen Währung.

Mit Edmund Muskie tritt nun ein Mitglied des außenpolitischen Senatsausschusses an die Stelle von Cyrus Vance, der offenbar die Beziehungen des Weißen Hauses zum' Kongreß bessern und wohl auch eine drohende Untersuchung der Iran-Intervention durch die Legislative unterbinden soll. Denn für manchen Parlamentarier war Carters Intervention ungesetzlich, weil er es unterlassen hatte, vorerst den Kongreß zu konsultieren.

Seitdem Vietnamdebakel muß jegliche militärische Aktion vom Kongreß sanktioniert werden, damit kriegerische Verwicklungen möglichst vermieden werden. Für Carter war die Intervention eine humanitäre Handlung, für manchen Parlamentarier jedoch der Beginn eines schwer abgrenzbaren Konfliktes im Mittleren Osten.

Somit wird die amerikanische Außenpolitik nicht nur durch die latenten Reibungen zwischen State Department und dem Amt des nationalen Sicherheitsberaters belastet, sondern seit neuem noch zusätzlich durch die Konsultationspflicht gegenüber dem Kongreß. Da sich nunmehr im Kongreß neben den gewählten Funktionären auch eine immer einflußreicher werdende Bürokratie von Experten entwickelt, sind die Konfliktmöglichkeiten zwischen den nunmehr auf drei Machtzentren angewachsenen außenpolitischen Administrationen fast unbeschränkt.

Natürlich verfügt das State Department über den kompetentesten Apparat, und ist ein bedeutender Außenminister, in Verbindung mit einem begabten Präsidenten automatisch federführend. Das Paar Nixon-Kissinger ließ daran gar keinen Zweifel aufkommen:

Unter Außenminister Kissinger war das Amt des Sicherheitsberaters völlig bedeutungslos. Kissinger hatte freilich in Nixon auch einen außenpolitisch kompetenten und interessierten Chef, der eine Linie konsequent verfolgen konnte und neue Akzente setzte.

Präsident Carter ist dieser Rolle jedoch weder inhaltlich noch administrativ gewachsen. Deshalb hätte gerade er einen starken Außenminister gebraucht. Ob Muskie der richtige Mann ist, kann noch nicht gesagt werden. Praktische Erfahrung besitzt er so gut wie keine, und ob er sich die so wichtige Loyalität des diplomatischen Apparates, der mit Vance einen sehr populären Chef verloren hat, sichern kann, bleibt bei seinem emotionellen Temperament eine Frage.

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