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Majakowski sah voraus

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Spießbürger gibt es zu allen Zeiten, in allen politischen Systemen. Den von der Sowjetrevolution zunächst begeisterten Wladimir Majakowski muß dieser Typ Mensch besonders abgestoßen haben, als er zur Zeit der Neuen ökonomischen Politik (NEP), als die Strenge der revolutionären Maßnahmen vorübergehend nachließ, durch die neue Situation bedingt, stärker hervortrat. Ihm gilt aller Spott Majakowskis in der Zauberkomödie „Die Wanze“, die derzeit im Volkstheater - Sonderabonnement - aufgeführt wird.

Genosse Bratfisch, der Erzspießer, früherer Arbeiter, früheres Parteimit-glied, dümmlich, großmannssüchtig, heiratet. Aber das erhoffte Wohlleben dieses kleinen proletarischen Bourgeois ist bald aus, bei der Hochzeit kommt es zu einem Brand, in den Wassermassen der Feuerwehr friert er ein und wird fünfzig Jahre später im Jahr 1979 - im Volkstheater erst 1989 -aufgetaut. Der Wanze gleich, die mit ihm diese Zeit im Eis überdauert hat. Als „Spiesserius vulgaris“, als unbegreifliches Relikt der Vorzeit, als Beispiel unsagbarer Rückständigkeit, führen ihn die Funktionäre der Öffentlichkeit im Zoo in einem Käfig vor.

Wie aber sah Majakowski die Zukunftsentwicklung des kommunistischen Idealstaates? Der Professor, der Bratfisch auftaut, muß im Wörterbuch nachsehen, was „Selbstmord“, was „Krakeel“ bedeutet, denn das gibt es nicht mehr. Tabak, Alkohol, Unterhaltungstänze gehören der verderbten Vergangenheit an. Die Menschen führen ein aseptisches, mikrobenfreies Leben, in dem Liebe erst gar nicht aufkommen kann. Automatisierte Trostlosigkeit. Damit wird die Spießersatire zugleich vorweg zu einer höhnischen Verurteilung jener staatlichen Gewaltmaßnahmen, die den Menschen auf eine reduzierte Norm festlegen, erstrebte Freiheit in Unfreiheit verwandeln. Majakowski sah voraus und warnte, er wollte merkbar einen menschlichen Kommunismus.

Meyerhold hat Majakowski als einen Souverän des Theaters bezeichnet. War er das? Hugo Huppert, der Majakowski persönlich kannte und verehrte, hat das Stück übersetzt; es ist tatsächlich, wie in der Buchausgabe angegeben, eine Nachdichtung geworden. Dennoch schlagt das Stück in der Aufführung unter der Regie von Gustav Manker nicht wirklich durch. Es hegt am Stück, das in der Situation nicht immer witzig genug ist. Manker steigert das Komödiantische besonders in der Gestalt des Bratfisch, den Uwe Falkenbach so recht als schmierigen Kerl gibt. Selbstgefällig posierend stellt Bernhard Hall den Trombon dar, der Bratfisch Bürgerallüren beibringt. Ansonsten haben die meisten Darsteller jeweils mehrere der 47 Rollen zu verkörpern.

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