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Medaillenträume

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Wenn es um die Frage geht, was denn die DDR in die deut- sche Ehe einbringen könnte, gibt es in einem Punkte keine Zweifel: Die Bauern-Sportler und Arbeiter-Sportlerinnen, die sind hochwillkommen.

Wer dies nicht glaubt, der soll sich doch einmal die Me- daillen-Spiegel der letzten x- beliebigen Weltmeisterschaften oder gar von Olympischen Spielen, die nicht durch irgend- einen törichten Boykott am- putiert worden waren, vorneh- men.

Wenn der deutsche Sportmi- chel oder die germanische Tumgretel da zu addieren beginnen, dann leuchten die Augen, dann strahlt Stolz über das in zahllosen Fernsehnäch- ten bei Sportübertragungen gebleichte Antlitz.

Man stelle sich doch nur vor: die westdeutschen Tennismil- lionäre und die ostdeutschen Mehrkämpferinnen, die Fuß- baller aus Bayern und die Rennrodler aus Thüringen, die Springreiter aus dem deut- schen Nordwesten und die hünenhaften Schnellschwim- merinnen mit den blauen Tri- kots und den tiefen Stimmen aus dem Osten, die flotten Radler mit ihren widerstands- losen Plastikhäuten, die Lan- gläuferaus den flachen Gegen- den und die alpinen Flitzerin-. nen aus den Gebirgen. Unvor- stellbar, nein: wahrhaft über alles!

Aber während angesichts solcher Zukunftsperspektiven die internationale Sportwelt bereits zu zittern beginnt, sich die internationalen Sportmar- keting-Agenturen eifrigst um Repräsentanten in Erfurt, Weimar und Dresden umsehen, kommen den Athleten in Deutschland Ost und West - und vor allem ihren Funktio- nären - schon die ersten Be- denken: Wird es auch genug Startplätze geben für die verei- nigte Armee der Läufer und Reiter, für die Armada der Schwimmerinnen und Ruderer, die Luftwaffe der Turner und Springer?

Und da beginnt die Begeiste- rung über die deutsch-deutsche Medaillen-Zukunft bereits wieder zu verfliegen. Es wer- den nämlich einige mehr zu Hause bleiben müssen, wenn es in die weite Sportwelt hinaus- geht. Und das wird möglicher- weise mehr wohlstandsgeschä- digte Wessis betreffen, als so- zialistisch gestählte Ossis.

Ich kann die Sportsfreunde in der Bundesrepublik freilich beruhigen: Aus der DDR kom- men Schreckensmeldungen über den Verfall der sportli- chen Moral. Seitdem nicht mehr streng und geheim und total staatlich trainiert wird, sind die Leistungen auch nicht mehr das, was sie einstens zu Ruhm und Ehre von Zirkel und Ährenkranz waren. Bald wer- den wir verweichlichte Kapi- talismus-Knechte wieder eine Chance bekommen.

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