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Menschlichkeit für Menschenverachter

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Es bleibt ein Gefühlsgemisch aus Enttäuschung und Erleichterung, nachdem Erich Honecker Deutschland als freier Mann verlassen hat. Das Berliner Verfassungsgericht erinnerte angesichts des todkranken Ex-DDR-Chefs an die Unantastbarkeit der menschlichen Würde und machte dem Prozeß, der noch gar nicht richtig begonnen hatte, rechtzeitig ein Ende.

Die Hilflosigkeit, die sich im Gerichtssaal von Anfang an breit gemacht hatte, weil jeder wissen mußte, daß bundesdeutsche Gesetze die Verbrechen des DDRlers nicht packen können, drohte zu einer Blamage für die Justiz selber zu werden.

Trotz allem darf die Bitterkeit, die die Freilassung des Menschenverachters vor allem bei den ungezählten Opfern auslöste, nicht übersehen werden. Für sie, die von dem unterkühlten Saarländer unterdrückt wurden, ist es schmerzlich zu erfahren, daß deutsches Recht nicht in der Lage sein soll, seine deutschen DDR-Verbrechen zu ahnden. Ausgerechnet der, der die Menschenwürde anderer mit Füßen trat, erhält wegen der Unantastbarkeit der Menschenwürde die Freiheit.

Inzwischen tauchen in Bonn und nicht nur dort immer mehr Zweifel auf, ob Erich Honecker tatsächlich so krank ist, wie das die zuständigen Berliner Gutachten behaupten. Kann es sein, daß sich die Ärzte - ganz im Sinne der politischen Opportunität - bei ihrer Diagnose geirrt haben?

Totgesagte leben länger. Dieser Satz hat seit der vergangenen Woche einen aktuellen Klang, denn in Chile kam Honecker ziemlich munter an. Derweil ist in Deutschland bei nicht wenigen Bundesbürgern aus den neuen Ländern das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit auf eine neue Probe gestellt.

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