Zu spät gekommen, vom Leben bestraft, vom Gericht verschont

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Der 7. Oktober 1989 war Erich Honeckers letzter großer Tag. Den 40. Jahrestag der DDR gilt es zu feiern mit allem Pomp und Trara, den der Apparat noch herzugeben vermag. Haushohe Plakate im ganzen Land, Militärparaden, Jugendparaden, Ansprachen. Erich Honecker spricht: „Die DDR, der bewährte sozialistische Wellenbrecher gegen Neonazismus und Chauvinismus, wird die Schwelle zum Jahr 2000 überschreiten,“ Honeckers Stimme bricht, er quietscht, „weil nur dem Sozialismus die Zukunft gehört.“ An den Rändern des organisierten Jubels rufen Demonstranten „Freiheit, Freiheit“ und werden von Polizeikräften mit Schlägen auseinandergetrieben. Der Ehrengast Michail Gorbatschow gibt Interviews nach dem Festakt. Er sagt auf die Frage nach der Zukunft der DDR: „Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.“ Doch Honecker hört das nicht. Auch den Exodus seiner Bürger, die zu Tausenden in den Westen fliehen, will er nicht wahrhaben, geschweige denn die Demonstrationen in Leipzig und Berlin. Niemand kann Honeckers Glauben an seinen Staat erschüttern – auch nicht die Realität.

Früher, in den 60er Jahren, hatte er dieses Bollwerk gegen den Westen gebaut, die Berliner Mauer, die Selbstschussanlagen. Als Sicherheitssekretär des Zentralkomitees war es sein Zuständigkeitsbereich gewesen. Als die ersten DDR Bürger erschossen wurden, sagte er: „Genossen, welche die Schusswaffe erfolgreich angewendet haben, sind zu belobigen.“

Am 7. Oktober 1989 wissen jene, die hinter Honecker stehen und applaudieren, dass er, Honecker nicht mehr zu halten ist: Erich Mielke, Stasi-Chef. Egon Krenz, SED-Thronfolger. Nur noch zehn Tage warten sie. Dann, am 17. Oktober, tagt das Zentralkomitee. Mielke attackiert Honecker offensiv, droht damit, Malversationen und Verfehlungen des Staatschefs offenzulegen, sollte er nicht zurücktreten.

Der 18. Oktober: Honecker, der Bergarbeitersohn aus dem Saarland, der von Jugend an um die Verwirklichung des Arbeiterstaates gekämpft hat, gibt nach 17 Jahren an der Spitze der DDR auf. Seine Krebserkrankung dient als offizielle Erklärung. Die Kraft fehle einfach. Und da nun niemand da ist, der ihn lobt, adelt er sich selbst noch im Rücktritt. Er sagt: „Die Gründung und erfolgreiche Entwicklung der DDR ist die Krönung des Kampfes unserer Partei.“

Die Flucht vor der Justiz

Die Zeit der Reden ist damit vorbei. Es beginnt die Flucht vor der Justiz, die in einer Farce endet. Honecker wird im Jänner 1990 erstmals verhaftet, danach aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Er flieht in ein russisches Militärlazarett. Als ihn die Russen vor die Türe setzen, flüchtet er in die chilenische Botschaft.

Doch russische Soldaten holen ihn aus dem Versteck und übergeben ihn der deutschen Justiz. Die Anklage lautet auf Totschlag in 68 Fällen. Andere haben sich freiwillig der Justiz gestellt: Mielke, Schabowski, Krenz. Nicht so Honecker. Er beantragt mit Verweis auf seinen Gesundheitszustand Enthaftung und Prozess-Schonung.

Zwei Instanzen lehnen das Ansuchen ab, die dritte, ein Gericht in Berlin, hebt den Haftbefehl auf. Sofort kommt es zu Demonstrationen gegen das Urteil. Aber da sitzt Honecker schon im Flugzeug nach Chile. In seiner Untersuchungshaft hat er sein letztes Interview gegeben. Über sein politisches Leben sagte er: „Da brauche ich nichts zu korrigieren.“ Honecker stirbt 1994 in Santiago de Chile. (tan)

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