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Honecker weg

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Ein direkter Staatsschatz war es ja nicht gerade, was uns die Sowjetunion geklaut hat. Und den Verlust Erich Honeckers werden wir - nach pflichtgemäßen Protesten - auch relativ leicht verschmerzen können. Aber die Frage bleibt: Was hat der Chef-Genosse des jämmerlich pleitegegangenen sozialistischen deutschen „Arbeiterund Bauernstaates” noch an Wissen mitgenommen auf seiner vorletzten Fahrt zum Kreml-Mausoleum?

Nun werden wir Wohl vieles nie erfahren, von dem wir weder wissen, ob wir es überhaupt hätten wissen wollen, noch ob seine Aussagen in einem Prozeß je wirklich der Wahrheitsfindung über die Geschichte der DDR gedient hätte. Wo Erich Honecker doch offenbar schon seit Jahren jeden Bezug zur Realität verloren hatte, wie sollte er da jetzt - völlig verwirrt über sein zerbröseltes Lebenswerk- noch die vergangene Wirklichkeit erhellen können?

Die Tatsache, daß Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und Justizminister Kinkel relativ früh vom „Ausflug” Honeckers nach Moskau gewußt, aber erst spät genug mit dem Protestieren dagegen begonnen haben, läßt mich an der Aufrichtigkeit der Trauer zweifeln, die in Bonn wirklich über diesen „Verlust” herrscht. Wer weiß, ob Höney nicht eher zuviel weiß? Kann man denn sicher sein, daß seine altersbedingten Gedächtnislücken auch immer an der richtigen Stelle klaffen?

Wahrscheinlich würde ein Prozeß gegen Honecker ähnlich verlaufen wie viele gegen alte Nazi-Verbrecher. Erstens hat er doch wie alle nur auf Befehl gehandelt. Zweitens hat er nur das Beste gewollt, und drittens ist er von seinen Untergebenen wahrscheinlich schmählich hintergangenen worden.

Honecker hat doch den „sozialistischen Schutzwall” gegen kapitalistische Eindringlinge nie so verstanden wissen wollen, daß dort auch undankbare nichtsozialistische Ausdringlinge erschossen werden? Wenn er gewußt hätte, daß seine Soldaten zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes auf ihre Landsleute nicht nur zielen, sondern diese auch absichtlich treffen! Da hätte es aber gestaubt..

Konnte er ahnen, daß seine DDR-Bürger ihn nicht freiwillig zu 98 Prozent gewählt haben und nicht gern und stolz in der schönen Heimat geblieben sind, sondern dort eingesperrt worden sind?

Kurzum: Bevoram Ende noch von tränenüberströmten Richtern Erichs seine Unschuld am Gesamtverbrechen DDR mangels Beweisen oder Zurechnungsfähigkeit verkündet würde, sollen ihn die Sowjets lieber behalten. Aber seine Rente soll wenigstens hier bleiben.

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