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„Wachhunde“ in Pankow

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Im Zentralapparat der SED setzt Parteichef Honecker in zunehmendem Maße in der letzten Zeit seine Freunde ein. Für Personenkult hat er offenbar nichts übrig und sein Ideal ist die „kollektive Führung“, weil er weiß, daß er nicht die politische Statur seines Vorgängers besitzt. Allein wäre er wahrscheinlich nicht genug stark, mit den Intrigen der Parteirivalen fertig zu werden.

In den 16 administrativen Distrikten der DDR wurden seit Mal dieses Jahres bemerkenswerte personelle Verschiebungen vorgenommen, um die Position Honeckers zu festigen:

In Ost-Berlin rückte Konrad Naumann zum Ersten Sekretär vor. Der erprobte 60jährige Alt-Apparatschik und Spanienkämpfer, Paul Werner, wurde dort nach mehr als 12 Jahren abserviert. Werner soll jedoch nicht zum Alteisen gehören, sondern angeblich entweder endgültiger Nachfolger Honeckers für Sicherheitsfragen oder Chef der Parteikontrolle werden.

Der frühere Distriktleiter in Halle, in der Hochburg der ostdeutschen chemischen Industrie, Horst Sindermann, machte einen großen Sprung nach vorne; sein Stellvertreter, der Zweite Sekretär Werner Felfe, rückte vor. Das Politbüromitglied und Parlamentsabgeordnete Sinder- mann wurde zum Ersten Stellvertre tenden Vorsitzenden des Ministerrats ernannt, in dem Alfred Neumann übersprungen wurde.

Horst Sindermann (55) gilt heute als „Mann der Zukunft“. Er war Berufsjoumalist und leitete seit 1963 den Halle-Distrikt, das neuralgische Zentrum des Industriegebietes. Ein Herzinfarkt zwang Sindermann 1969 zu vorübergehendem Rückzug und Ruhepause. Kein Wunder, da er in der nationalsozialistischen Zeit elf Jahre in den Konzentrationslagern von Sachsenhausen und Mauthausen verbracht hatte. Als die Russen kamen, wurde er Chefredakteur der „Volksstimme“ in Karl-Marx-Stadt, später Chefredakteur der „Freiheit“ in Halle. Eine Zeit lang war Sindermann Leiter der Agitationsabteilung des ZK, dessen Vollmitglied er im Jänner 1963 geworden ist Seither war er Mitglied des Politbüros.

Sindermann amtierte bisher immer als „Hardliner“. Er attacktierte nicht nur die chinesische Führung wiederholt, sondern jede kulturelle Aufweichung und politische Nachgiebigkeit. Er war auch einer der entschlossensten Gegner des „Prager Früh lings“. Und seit Honeckers Machtübernahme nennt man ihn flüsternd den „Wachhund“.

Geht Stoph?

Schon vor Monaten prophezeiten Partei-Apparatschiks, die das Gras wachsen hörten, daß für Ministerpräsident Willy Stoph kritische Tage anbrechen würden. Auch Stophs „Westpolitik“ (ein Pendant zur Brandt- schen „Ostpolitik“) soll in Gefahr geraten. Es sei sogar damit zu rechnen, daß Stoph nach oben stürzen werde, also zum Vorsitzenden des Staatsrats nach Ulbrichts Abservierung befördert werden soll. Dies würde natürlich für Stoph die Entmachtung bedeuten. Der neue Ministerpräsident hieße Sindermann, der als ein großes, weitleuchtendes Fragezeichen im ostdeutschen Spiel erscheinen würde. Und ob man mit Sindermann leichter auf den grünen Zweig kommen wird als mit Stoph, ist ungewiß.

An der Spitze des Distrikts Frank- furt/Oder hat Hans-Joachim Hertwig die Führung von Erich Mückenberger übernommen. Ein schlichtes poli tisches Begräbnis für den Zweiten. Dennoch soll auch Mückenberger in der neuen „Kollektivführung“ Honeckers irgendeine Rolle erhalten.

Viele Köpfe rollten bisher in der Wirtschaftsführung. In Rostock, Neubrandenburg und Ost-Berlin wurden führende Wirtschaftsfunktionäre abgesetzt. In Potsdam mußten der Vorsitzende des Planungskomitees, der Sekretär für Agitation und Propaganda, sowie der Vorsitzende des Distriktes den Hut nehmen. Auch der Leipziger Planungschef wurde still abserviert. Der Wirtschaftssekretär zu Halle und der Vorsitzende des Landwirtschaftsrats in Schwerin wurden vor die Tür gesetzt. Aber offensichtlich fand eine individuelle und keine Massensäuberung statt

Die Parteiführung ist mit den Produktionsergebnissen in vielen Distrikten unzufrieden, wofür die Fachleute geradestehen müssen. Auch der erste Ökonom der DDR, Günter Mittag, soll endgültig auf die Abschußliste gesetzt worden sein. Das freilich ist noch unsicher, weil Honecker und Mittag lange Zelt gute Freunde gewesen sind.

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