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Die Altlast von drüben oder wer darf Honecker die Hand schütteln?

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Die Spannung ist schon fast so groß wie vor dem Staatsbesuch Erich Honeckers 1987 in Bonn. Damals quälte die deutschen Politiker aller Parteien die bange Frage: Kommt er oder kommt er nicht? Und wenn er kommt: Wo wird er überall herumgereicht? Wer darf ihm die Hand schütteln?

Aus der Sehnsucht nach dem deutsch-deutschen Händeschütteln ist heute eher das Bedürfnis nach dem Anlegen von Handschellen geworden. Aber wir wissen noch nicht sicher, ob er kommt und ob freiwillig oder per Auslieferung?

Eines aber wissen wir heute schon ziemlich sicher: Der Prozeß gegen den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR

wird gespenstische Züge tragen. Der greise ideologische Starrkopf wirkt nämlich im juristischen Sinne voll zurechnungsfähig, ist aber im politischen Sinne offenbar zu keiner Einsicht fähig.

Der von seinem eigenen Volk unblutig entmachtete rote Oberindianer wandelt vielmehr jenseits von Gut und Böse quasi in den ewigen sozialistischen Jagdgründen. Er grübelt nur vergrämt darüber nach, wer ihm denn nun sein schönes Arbeiter- und Bauernparadies wirklich kaputt gemacht hat -die Bonner „Gabidalisden, Revang-chisden und Imberialisden" oder doch eher Gorbatschow.

Auf der einen Seite müssen wir kleine Vorzimmer-Spioninnen wegen Landesverrats bestrafen und Grenzsoldaten als hirnlos befehlsgläubige Mauerschützen vor Gericht stellen, weil sie nicht nur ihren flüchtigen Landsleuten auf Kommando hinterhergeballert, sondern sie um der Orden und Prämien willen auch absichtlich getroffen haben.

Andererseits aber können wir dann nicht den Oberkommandierenden und Ersten Menschenrechtsverletzer des Landes wegen erkennbaren Realitätsverlustes einfach ungeschoren als eingebildeten Märtyrer des Marxismus durch sein Traumland wandeln lassen. Doch die klägliche Rolle, die der einst allmächtige Staatsratsvorsitzende und SED-Generalsekretär vor Gericht spielen wird, kann man sich gut vorstellen.

Die einen Verbrechen hat er nur auf Anordnung der mächtigen

Sowjetunion und damit praktisch im Befehlsnotstand ausführen müssen. Von den meisten anderen Verbrechen hat er überhaupt nichts gewußt! Da muß man ihn hintergangen und ihm furchtbare Schandtaten wie Folter und Menschenversuche einfach verschwiegen haben!

Den Rest aber hat er einfach vergessen: Sollte es da wirklich einen Schießbefehl gegeben haben, stille Hinrichtungen und Devisenhandel mit politischen Gefangenen? Man kann sich doch nicht an jede Kleinigkeit erinnern! Am Ende werden alle nur voll Mitleid sagen: „Laßt doch den verrückten alten Mann in Ruhe! Wie soll der denn jetzt begreifen, was er noch nie zuvor begriffen hat."

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