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Berlin: Aus der Sicht des Ostens

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Staatsratsvorsitzender Erich Honecker verwahrte sich in einem Interview gegen die Frage, die DDR habe die „deutsche Geschichte wiederentdeckt“.

Nun, tatsächlich erschienen in der DDR schon 1952 Gedenkbriefmarken zu Ehren der „deutschen Patrioten“ Thomas Münzer, Freiherr Karl von Stein, Ferdinand von Schill, und daß 1984 das Denkmal Friedrichs II. Unter den Linden wieder aufgestellt wurde und kürzlich eine faszinierende Bismarck-Biographie erschien, hatte auch der Interviewer erwähnt.

Und so will man nun - nach Honeckers Worten - mit der 750-Jahr-Feier „die Geschichte Berlins so würdigen, wie sie ist“. Wie ist sie nun - nach östlicher Auffassung?

Zur Vorbereitung des Jubiläums wurde ein Komitee konstituiert, dem 165 Personen (plus drei evangelische Kirchenvertreter), vom Staatsratsvorsitzenden bis zum „Arbeiterveteranen“ angehören. Ein Kollektiv von sieben Historikern, die nur zum Teil auch im Komitee sitzen, hat „Thesen“ verfaßt, die das Geschichtsbild der DDR widerspiegeln.

Darin wird zunächst durchaus anschaulich und objektiv die Entwicklung Cölln-Berlins seit der ersten Erwähnung 1237 geschildert. (Übrigens: Wien erscheint genau 100 Jahre vorher, 1137, erstmals als „civitas“, Stadt, urkundlich auf.)

Im 18. Jahrhundert wird anerkannt, daß sich Berlin „als feudale Haupt- und Residenzstadt“ zu einem „Zentrum von Künsten und Wissenschaften“ entwickelte. Und auch Friedrich II. - hier natürlich nicht als „der Große“ apostrophiert — erhält als Förderer der Künste und der Architektur positive Noten.

Nach 1848 verengt sich das Blickfeld auf die Geschichte der „Arbeiterbewegung“.

Die Geschichte der Zwischenkriegszeit ist natürlich die des „roten Berlin“, das zu einem „Magneten für fortschrittliche Kräfte weit über Deutschland hinaus“ wurde.

Für die Zeit nach 1945 ist der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 ein „konterrevolutionärer Putschversuch“, der von den „bewaffneten Organen der Arbeiterklasse gemeinsam mit den sowjetischen Streitkräften“ niedergeschlagen werden konnte. Der Bau der Mauer wird zur „Schutzmaßnahme“, die den „bedrohten Frieden rettete“.

Soweit Berlins Geschichte in östlicher Sicht. Sie wird sich während der Feiern in verschiedenen Ausstellungen, Volksfesten, Festakten niederschlagen. Details gibt es erst nach dem SED-Parteitag im April.

„Wir haben nichts dagegen, wenn die Westberliner — auch Schulklassen — herüberkommen und daran teilnehmen“, versichert Hartmut Krebs, Presseattache an der Wiener DDR-Botschaft.

Und umgekehrt? Krebs winkt ab. Und auch Honecker betonte im erwähnten Interview, man könne anläßlich der Feiern nicht die „Augen vor Realitäten verschließen, wie sie sich historisch entwickelt haben“. Man könne nicht außer acht lassen, daß Westberlin „unter Besatzungsrecht steht“. Ob dieses Besatzungsrecht DDR-Bürger behindern könnte, wenn sie sich einmal „drüben“ umsehen wollten?

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