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Mind Games - Ballett mit weißer Kugel

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Eine Kugel von etwa drei Metern Durchmesser liegt in der Mitte der Bühne. Sie besteht aus weißem Gips. Ihre Oberfläche ist weiß lackiert. Der Bühnenhintergrund und der Bühnenboden sind ebenfalls weiß, allerdings matt. Still eingebettet in das Weiß der Umgebung ruht die Kugel in sich.

Motorengeräusche, die sich wellenweise nähern und lauter werden. Die Motorradfahrer tauchen auf der Bühne auf. Sie tragen schwarzes Lederzeug, silbergraue Helme und schwarze Stiefel mit Schnallen. Ihre Maschinen sind schwarz, jene Teile, die für gewöhnlich verchromt sind, silbergrau. Die Reifen haben weiches Stollenprofil, sie müssen Schmierspuren hinterlassen.

Die Motorradfahrer überqueren die Bühne auf verschiedenen Diagonalen oder sie schwenken in gegengerichtete Kreisbahnen um die Kugel ein. Sie fahren rasant, sind tief über ihre Maschinen gebeugt.

Die Choreographie der Bewegungen und das Verhältnis der Bewegungen zueinander soll derart sein, daß einerseits Zirkusatmosphäre entsteht, die Gefährlichkeit deutlich wird, anderseits aber der Eindruck von größter Ordnung und Exaktheit hervorgerufen wird, jenes Gefühl, das sich etwa beim Betrachten von physikalischen oder chemischen Versuchseinrichtungen einstellt.

Verdichten sich die Bewegungen der Motorradfahrer anfangs um die Kugel, so werden sie allmählich wieder weitmaschiger, erinnern ein wenig an das „Herumirren“ von Gasmolekülen im Raum, verebben zuletzt ganz: Die Motorradfahrer haben die Bühne verlassen, der Lärm ihrer Maschinen wird leiser, fast erwartet man schon die Stille, da springen überfallsartig die Kettenträger hervor, laufen in Rudeln um die Kugel herum, stoßen kurze, unartikulierte Schreie aus und beginnen schließlich auf die Kugel einzuschlagen.

Die Kettenträger sind in enganliegende, chromgelbe Lackledertrikots gekleidet, die nur die halben Unterarme frei lassen. Diese sind dunkel behaart. Um die Faust tragen die Kettenträger schwarze Ketten gewickelt, deren etwa dreißig Zentimeter lange Enden lose herabhängen. Ihre Köpfe sind kahlgeschoren, ihre Gesichter rasiert. Die Füße stecken in Stiefeln, um die Mitte liegt locker ein Gürtel.

Im Vergleich zur kühl-perfektio-nierten Rasanz der Motorradfahrer wirkt ihr Auftritt plump. Der Effekt ist aber ungleich zerstörerisch: Haben die Motorradfahrer bloß den weißen Bühnenboden mit schwarzen Schmierspuren bedeckt, so zertrümmern die Kettenträger, die in Hordenformation um die Kugel kreisen, diese so weit, daß die glänzende Hülle abgeschlagen ist und das dumpf-weiße Innere sichtbar, wird.

Beim Vorgehen der Kettenträger erkennt man, daß sie nicht wie die Motorradfahrer einer klaren, gleichsam naturgesetzlichen Ordnung gehorchen, sondern eine Gruppenmentalität besitzen, wie sie ähnlich bei

militärischen bzw. paramilitärischen Verbänden auftritt. Uber je fünf Mann bestimmt ein Anführer, der aber durch nichts vor den anderen ausgezeichnet ist und der, hat er sein Kommando gegeben, sogleich wieder in der Anonymität der uniformierten Gruppe untertaucht.

Die Bewegung der Kettenträger ist schwerfällig, ruckartig und kaum koordiniert. Sie macht den Eindruck von stupider Aggressivität.

Während die Kettenträger nun schweigend und nur manchmal kurz aufjohlend die Kugel demolieren, fliegen die schwarzen Tänzer mit großen, elastischen Sprüngen auf die Bühne und beginnen sogleich die Kettenträger durch ihre fast schwerelosen Bewegungen zu irritieren.

Sie tragen schwarze Trikots, die auch die Hände miteinschließen. Ihre Köpfe und Gesichter sind ebenfalls glatt und schwarz, selbst das Augenweiß'fehlt. Man stelle sich schwarzes, geschmeidiges Plasma vor, homogene Massen, die fortwährend ihren Umriß verändern.

Irritieren sie anfänglich die Kettenträger bloß, diese lassen von der Kugel ab, stehen da mit hängenden Armen, so gehen sie kurz darauf zum Angriff über. Dieser wird aber nicht mit roher Kraft geführt, sondern spielerisch und scheinbar ungerichtet. Erst im Laufe der Zeit erkennt man die Methode: Die verblüfften Kettenträger werden durch Sprünge und andere Bewegungsfiguren voneinander getrennt und dann, stetig umkreist, von der Bühne gedrängt.

Ist das geschehen, laufen die Tänzer neugierig um die Kugel herum, brechen da und dort ein Stück ab, wägen es in der Hand, werfen es in die Luft etc. Wie von selbst versammeln sie sich dann zu einem Rundtanz um die Kugel. Er soll an die Opfertänze früher Kulte erinnern. Dieser Stimmung entspricht am ehesten ein Motiv aus dem Sacre von Strawinsky bzw. aus dem 2. Satz von Bruckners Neunter. Es muß deutlich sein, daß den Tänzern bei aller sublimer Verbrämung nicht um den Bestand, sondern um die endgültige Zerstörung der Kugel zu tun ist.

Ihr Triumph währt indes nicht lange. Die Kettenträger, drohend hat man schon ihre Ketten durch die Luft sausen gehört, schwärmen über die Bühne aus und unterbrechen mit Schreien und Schlägen das Tanzspiel. Die Tänzer, deren Widerstand sich als zwecklos erweist, wenden sich zur Flucht. Nun tauchen auch die Motorradfahrer wieder auf. In ruhiger Berechnung kreisen sie um die Kugel, bedacht darauf, die von den Kettenträgern losgeschlagenen Trümmer zu zermalmen.

Sind die schwarzen Tänzer endgültig von der Bühne verdrängt, bildet ein Teü der Kettenträger eine lockere Postenkette um das Bühnenrund. Die anderen zerstören die Kugel unter wildem Geschrei. Die Motorradfahrer, die den Lärm ihrer Maschinen auf das Quälendste gesteigert haben, zerreiben die Bruchstücke zu grauem Staub.

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