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Modellversuch

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Als im Jänner dieses Jahres ein Aufruf erschien, als „Tagesmutter“ zu arbeiten, meldeten sich rund 150 Interessentinnen, die entweder selbst Tagesmutter sein wollten, oder für ihre Kinder eine solche suchten. „Wir waren sehr erstaunt“, sagt Frau Dr. Schüssel, Leiterin des „Vereins Tagesmutter“ in Wien, „denn eigentlich wollten wir das ganze Projekt schon aufgeben.“ Sie nennt mangelnde Aufklärungsarbeit die Ursache dafür, daß die Bevölkerung heute noch vielfach zuwenig Bescheid weiß über Sinn und Zweck dieses Modellversuchs.

Immerhin sind im „Verein Tagesmutter“, der auf Privatinitiative zurückgeht und dem Tagesmütter ebenso wie Eltern als Mitglieder beitreten können, gegenwärtig 70 Tagesmütter beschäftigt. Uber 20 Frauen besuchen den vierzigstündigen Vorbereitungskurs in der Caritas Sozialis in der Seegasse.

Demgegenüber nehmen sich die Versuche der sozialistischen Wiener Kinderfreunde und des ÖVP-Sozial-hilfswerks eher bescheiden aus. Die „Wiener Kinderfreunde“ beschäftigen nach einer nunmehr eineinhalbjähriger Anlaufzeit acht Tagesmütter im Alter von 25 bis 37 Jahren, die durchschnittlich sechs bis acht Kinder betreuen. Und das ÖVP-So-zialhilfswerk begann im Jänner mit drei Tagesmüttern, die vom „Verein Tagesmutter“ übernommen wurden. Gegenwärtig ist der Stand auf sechs Frauen angewachsen.

Beispiel, wo die AKtion vom Frauenreferat ins Leben gerufen wurde, überraschte zu Beginn des Jahres mit etwa 115 Tagesmüittern. In Tirol hat der katholische Familienverband die Organisation übernommen. Die Bereitschaft der Bevölkerung resultiert aus der wachsenden Isolation der nicht berufstätigen Mütter.

Daß dieser Versuch nicht der Weisheit letzter Schluß ist, hat sich trotzdem schon herumgesprochen. Aber er bietet zumindest Möglichkeiten, die eine entsprechende Förderung rechtfertigen. Da wäre einmal die Tatsache, daß das Kind, zusammen mit Verschiedenaltrigen in den Famiidenverband der Tagesmutter aufgenommen, hier eher ein soziales Verhalten entwickeln kann als in einer Gruppe von durchschnittlich 30 bis 35 etwa Gleichaltrigen, wie sie in den Kindergärten die Regel ist. Das Kind erfährt weiter bei der Tagesmutter im allgemeinen eine bessere individuelle Betreuung, lernt andere Familienverhältnisse kennen und sich diesen anpassen. Berufstätige Mütter ziehen auch häufig die Tagesmutter einem Kindergarten vor, weil sie hier nicht an fixe Zeiten gebunden sind.

Diesen Vorteilen stehen mehrere Nachteile gegenüber. Zum einen ist die Tagesmutter meist nicht in der Lage, eine Vorschulerziehung wie im Kindergarten zu bieten. Zum anderen ergeben sich Schwierigkeiten, wenn sie einmal krank ist, oder diesen Beruf aufgeben möchte. Die Befürchtungen, daß sie mit dieser Beschäftigung wiederum auf ihre Rolle als Hausfrau fixiert und ihrer daher bald überdrüssig wird haben sich in jenen Fällen nicht bewahrheitet, in denen eine oberste Grenze von- maximal fünf zu betreuenden Kindern gewahrt bleibt, oder die Kinder nur halbtags betreut werden. Denn es gibt doch sehr viele Frauen, denen die Arbeit zu Hause mit und für Kinder mehr Spaß macht als eine eintönige Büro- oder Fließbandarbeit. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt das Bewußtsein, einen, wenn auch nicht gerade fürstlich bezahlten, Sozialberuf auszuüben.

Bei den Kinderfreunden und im Sozialhilfswerk sind sie außerdem sozialversichert. Ihr Gehalt, das sich aus den Elternbeiträgen und einer Förderung durch das Jugendamt zusammensetzt, beträgt zwischen 4500 und 6000 Schilling brutto je nach beruflicher Vorbildung, aber unabhängig von der Zahl der zu betreuenden Kinder. Beim „Verein Tagesmutter“ muß der Gehalt ausschließlich von den Eltern bestritten werden, das ergibt 700 Schilling für halbtägige und 1300 Schilling für ganztägige Unterbringung. Wobei dieser Verein den Vorteil bietet, daß sich die Eltern hier „ihre“ Tagesmutter aussuchen können. Dies kommt in erster Linie den Kindern zugute, da ja im Gerangel um Emanzipationsfragen nicht vergessen werden darf. Denn die beste Tagesmutter kann die eigene Familie nicht ersetzen.

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