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Mose und Aron

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„... und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“: Trotz Eichendorff-Beschwörung in Hellbrunn sind die Kritiker der Salzburger Festspiele heuer vom Zauberwort der Veranstalter weniger denn je verführbar.

Auch wenn das Singen, Musizieren und Deklamieren wie jeden Sommer die ganze Stadt zwischen Festung, Kuppeln und Kirchturmspitzen in ein einziges lebendes Kunstwerk zu verwandeln scheint, fährt die Kritik mit schweren Geschützen auf: Mangel an Fantasie, an Originalität, an Management-Professionalität wird geltend gemacht, allenthalben Qualität vermißt.

Dabei ist freilich immer nur Qualität der Interpretation, kaum der Kreation gemeint. Nur die anspruchsvolle Wiedergabe steht zur Diskussion, selten oder nie die Botschaft des Autors oder des Komponisten, um deret-willen ein Werk doch aufgeführt oder beachtet werden sollte.

Konkret: Ist die .Botschaft“ des .Jedermann“ heute theologisch noch haltbar? Läuft das Drama der Gesellschaft in Canettis .Jiochzeit“ wirklichkeitsgetreu und unser eigenes Schicksal also chancenlos ab? Könnte Mose oder Aron unser Retter sein?

Die aufwühlende Oper .Moses und Aron“ von Arnold Schönberg, für Salzburg noch von Jean-Pierre Pon-nelle in Szene gesetzt, wirft eine Grundfrage der Menschheit auf: die Dialektik von Grundsatztreue und erdverbundener Kompromißbereitschaft.

Mose verkündet den unsichtbaren, den unbeschreib-baren, den kompromißlosen Gott. Sein Bruder Aron ist der Pragmatiker, der halb dem Volk, halb Gott nach dem Mund redet, von ihm auch Bilder macht.

Der biblische Stoff setzt sich mit einer Lebensfrage nicht nur der Religion, sondern auch der Kunst und ebenso der Politik auseinander: Haben die Idealisten, die Hüter der „reinen Lehre“, die Propheten der Wahrheit und der Prinzipien recht — oder ist ihre Kompromißlosigkeit ständig von Entartung in unmenschlichen Fanatismus bedroht?

Sind die Anpasser, Taktiker und Kompromißler die wahren Anwälte der Menschlichkeit — oder als Opportunisten deren Verräter?

Wahr ist, daß es in der Endlichkeit und Zeitlichkeit unserer irdischen Existenz keine saubere Antwort, sondern nur die beschwerliche Pflicht zu der je und je neu geforderten konkreten Entscheidung gibt. Jeder von uns ist Mose und Aron in einer Person. Unüberwindlich werden wir daher erst am Ziel unserer Reise sein.

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