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Massenspektakel mit unnötigen Details

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Es mag merkwürdig klingen, aber so mancher Opernfreund dürfte sich zuerst einmal geärgert haben, daß Arnold Schönbergs „Moses und Aron" bei den Salzburger Festspielen bloß als „Remake" gezeigt wurde und das bei Kartenpreisen bis zu 4200 Schilling! Denn die Galapremiere dieser von Anfang an mit Spannung erwarteten Produktion wurde bereits im vergangenen Oktober in der Amsterdamer Oper präsentiert. Für Salzburg bedeutete die Übernahme der Produktion allerdings auch Positives: Pierre Boulez, der Präzisionsfanatiker, hatte genügend Zeit, das extrem schwierige Werk am Pult des Amsterdamer Con-certgebouw Orchesters vorzubereiten; Regisseur Peter Stein konnte sein im ersten Anlauf sehr brüchiges Regiekonzept straffen und kritisch überarbeiten; und Karl-Ernst Hermanns Bühnenbild, das von Anfang an in den Dimensionen der Biesenbühne des Großen Festspielhauses gedacht war, entfaltete erst hier seine einprägsame abstrakte Schönheit.

Boulez war der Garant, daß Schönbergs Klangwelt hier mit höchster Akribie erarbeitet wurde: F,r taucht die spröde Schönheit dieser musikalischen Konstruktion in eine schimmernde Klangaura; strenge Zwölftonarbeit in ihren vielfältigen Vernetzungen und ihrem Beziehungsreichtum wird locker und durchsichtig aufbereitet; das Klangbild wird zur Basis für das dramatische Geschehen und gewinnt dabei wunderbare Farbigkeit. Neben dem hervorragend studierten Orchester wurde vor allem der Chor der Niederländischen Oper zum Träger des aufregenden Geschehens: Boulez und

Stein gelingen da Szenen von packender Eindringlichkeit, die den biblischen Ereignissen rund um Moses' Auszug aus Ägypten und seinen Kampf um die Gesetze Gottes die Dimensionen eines Welttheaterereignisses geben.

Karl-Ernst I Iermann setzt die zwei Akte, die Schönberg 1930 bis 1933 schrieb - der dritte blieb Fragment -in einen abstrakten Raum aus Licht: ein von gelben Lichtröhren begrenzter Keil ragt in den Zuschauerraum, ein zweiter weißer Lichtkeil zum Himmel; das ist die Wüste, in der das Volk lagert. Dahinter in voller Breite der Festspielhausbühne eine Lichtwand. Hunderte Scheinwerfer lassen über dem Zuschauer eine Sturzflut aus Licht niedergehen und entziehen so die unfaßbaren spirituellen Momente des Werks der präzisen Wahrnehmung.

In die Strenge dieses Raumes hat Peter Stein leider auch viele vordergründige dekorative Schnörkel gesetzt, deren Sinn nicht recht einleuchten will: Ein lebendiger Ochse wird zum Opferaltar gezogen; Reiter in orientalischen Gewändern jagen über die Bühne; der brennende Dornbusch - wie überzeugend hat ihn doch Götz Friedrich in seiner Wiener Inszenierung aus Licht gestaltet! - stellt sich als Gasgrillgerät mit vielen Flämmchen dar; Moses kommt mit der Sinai-Bergbahn aus luftigen Höhen herab; wandernde Feuersäu len ähneln schlanken Turmöfen des 19. Jahrhunderts ... Das sind Gags, die den Wurf der Szenen immer wieder brechen.

Steins Stärke sind die gewaltigen Massenszenen, in denen er Hundertschaften souverän bewegt. Da hat er Imponierendes geleistet: Der Riesen-chor wird nicht etwa statisch eingesetzt, sondern zum Dialogpartner für Moses und Aron. Der Chor als Widerpart, der sich im Meinungskrieg um Gottes Wort dramatisch Luft macht und die verunsicherte Volksseele in den gewaltigen Prozessionen brodeln läßt.

„Realismus extrem" beschert Stein schließlich in den mystischen Opferszenen im Tanz um das Goldene Kalb.

Den Taumel des Volks, das von allen guten Geistern verlassen scheint, steigert Stein zum dampfenden heidnischen Fest des Untergangs, zur rasenden Blutorgie der Lust, der Menschenopfer und des Todes.

Im Mittelpunkt der Aufführung steht das - untrennbare - Brüderpaar, um das die Szene wogt: Der heroische Moses von David Pitman-Jenningsist ein gewaltig orgelnder Verkünder, der um die Reinhaltung des Wortes Gottes kämpft und am Ende des zweiten Aktes am Unglauben seiner Welt zu zerbrechen droht. Sein „Oh, Wort, du Wort, das mir fehlt" stößt er in höchster Verzweiflung hervor - und gibt so dem Werk einen tragischen Schluß, den Schönberg ursprünglich durch den dritten Akt wieder aufheben wollte. Ihn umtänzelt der Tenor Chris Merritt als schlauer Verführer, Zutreiber und Wortverdreher Aron: Er ist der „Mund Moses'", der die abstrakte Welt des Wortes in verführerische, die anderen gängelnde Bilder verwandelt, der zu zaubern weiß und so das Volk in das Joch der Gesetze Moses' zwingt. Merritt stattet diese extreme Partie mit der flatternden Leichtigkeit eines Zauberkünstlers und Tricksspielers aus und macht spürbar, daß Moses und Aron zwar Antipoden der Oper, aber zugleich zwei einander bedingende Wesen sind, was Schönberg in seiner Partitur deutlich macht.

Aus der Schar der kleineren, zum Teil besonders anspruchsvollen Partien - insgesamt 22 - ragen das junge Mädchen Gabriela Fontanas, die Kranke von Yvonne Naef und der Priester von Läszle Polgär heraus.

Ks ist schade, daß diese eindrucksvolle Produktion in den kommenden Jahren nicht wieder aufgenommen wird.

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