6637820-1957_26_12.jpg
Digital In Arbeit

Schönbergs Selbstbekenntnis

Werbung
Werbung
Werbung

Die Sensation des Weltmusikfestes der IGNM war die szenische Uraufführung der Oper „M oses und Aron“ von Arnold Schönberg im Zürcher Stadttheater. Im Zeichen dieses Ereignisses und Wagnisses haben sich die Gemüter weit herum Monate voraus erhitzt, haben allein für den Chor über dreihundert Proben stattgefunden, sind hohe Subventionen angefordert und teilweise nicht erteilt worden . ..

Als ein Wagnis darf die szenische Aufführung bezeichnet werden, denn Schönberg hat selbst Zweifel an der Aufführbarkeit seines größten Bühnenwerkes geäußert. Im Grunde handelt es sich bei diesem auf eine einzige „Reihe“ komponierten, hochexpressiven zweiaktigen Werk (1932) — der dritte Akt wurde bloß begonnen! — um ein Selbstbekenntnis Schönbergs, um eine hybride Projektion seiner Person in die biblisch-historische Gestalt des Moses. In dem von ihm selbst geschriebenen Libretto gibt es bekenntnishafte Sätze von echt Schönbergscher, epigrammatisch zugespitzter Prägung. Wie sehr die Figur des biblischen Moses ein Bild seiner eigenen Persönlichkeit ist, geht aus Sätzen wie „So war alles Wahnsinn, was ich gedacht habe?" hervor. Auch Schönberg wollte ein Volk in das „gelobte Land“ führen: unsere Komponistengeneration in dasjenige der Atonalität. Auch er zerbrach Gesetzestafeln: auf denen die Gesetze der Tonalität festgehalten waren. Und die Antwort auf die Frage des geängstigten Volkes, wovon es sich denn in der Wüste ernähren solle, ist typisch für seine geistige Haltung: „In der Wüste wird euch die Reinheit des Denkens nähren, erhalten und entwickeln..."

In keiner andern Komposition Schönbergs spürt man so deutlich wie in diesem bekenntnishaften (und somit im Grunde noch romantischen) Werk, daß sein Zwölftonstil in seiner fast ständig gleich kompakten Dichte eine logische Weiterentwicklung der spätromantischen Harmonik ist. Oft erkennt man in seiner vom Tritonus und der übermäßigen Septime weitgehend bestimmten Musik noch so etwas wie verkürzte Modulationsmodelle und manchmal — vor allem in der Heldentenorpartie des Aron — ganz deutlich Wagnersche Spaltprodukte. An Richard Wagner denkt man auch angehörs der hocherotischen Stimmung, die für Schönberg charakteristisch ist, hier aber auch einmal optisch — im Liebestaumel des ganzen um das Goldene Kalb tanzenden Volkes — sichtbar wird. Während Wagner aber auch anderer Töne fähig war, ermüdet Schönbergs unveränderte musikalische Diktion mindestens so sehr wie der unübersehbar dichte Satz. Die Inszenierung hat uns dennoch stark gepackt. Die innere Geschlossenheit, die mitunter erschütternde Kraft des Ausdrucks und die gewaltige Spannung dieser M'v-ik ergeben Wirkungen, die unwiederholbar sind. Die Klangfarbigkeit, die der Komponist mit seinem unerheblich über das klassische Instrumentarium hinausgehenden Orchester erzielt, stößt vor in elektronische Bereiche. Das Janusköpfige dieser Partitur ist jedoch, daß sich Erzromantisches dicht neben typisch Neuem feststellen läßt: neben der durch seine Reihentechnik erreichten Auflösung der romantischen Harmonie, die noch typisch romantische Häufung der Stilmittel, das leidenschaftliche Pathos. Der Charakter der oratorienhaften Oper wird weitgehend durch die Mischung von gesprochenem Wort und Singstimme bestimmt. Moses, der „denken, aber nicht reden kann", ist bis auf wenige Takte eine Sprechrolle. Er verkörpert das idealistische Prinzip und verlangt die völlige Unterordnung unter das göttliche Gesetz. Sein Bruder Aron, der Heldentenor, ist Realist und gibt dem Volke seine Götter wieder, weil dieses nur glaube, was es sieht. Das Brüderpaar ist in den tragenden Dialogen auch kompositorisch so stark zusammengebunden, daß Aron und Moses sich oft gleichzeitig äußern, was das Verständnis der Handlung sehr erschwert. Noch komplizierter sind aber die einzelnen Gruppen des Volkes ineinander verkoppelt, indem gesprochene, gesummte und gesungene Chöre — oft in unerhörter Plastik — zu einem packenden Gesamtklang verwoben sind. Aetherische Klänge bringt der im Orchesterraum aufgestellte Chor in der Szene „Stimme aus dem Dornbusch“ hervor, anschaulich wird die Musik bei den Wundertaten Arons, und mitreißend ist die Dramatik der Massenszenen, vor allem der ganz und gar tänzerischen beim überschwenglichen Rondo um das Goldene Kalb. Zwischendurch gibt es lyrische Lichtblicke, die weniger dick instrumentiert sind: das schöne Quartett der vier Jungfrauen, die den Auftakt zu den Massenszenen geben oder die Szene mit der Heilung der Kranken. Nur zu flüchtig sind jedoch solche Kontraste. Erschütternd ist der Schluß des zweiten Aktes mit seinen Unisonogängen der Streicher: ln visionärer Stimmung schließt dieses Ideendrama als Fragment mit dem Ausruf: „O Wort, o Wort, das mir fehlt!“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung