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Herzog Blaubart — Die Nachtigall

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An einem Premierenabend wurden in der Wiener Volksoper zwei Frühwerke von Bartök und Strawinsky gegeben: die 1911 geschriebene, aber erst 1918 uraufgeführte einaktige Oper erzog Blaubarts Burg" von Bėla Bartök und Strawinskys 1907, noch während seiner Lehrzeit bei Rimski-Korsakow begonnene, aber erst 1914 vollendete „Lyrische Legende“ nach einem Andersen- Märchen „Die Nachtigall“. (Zwischen dem Einleitungsakt und den beiden folgenden, die insgesamt eine knappe Stunde dauern, hatte Strawinsky für Diaghilew die drei Ballette komponiert, die ihn weltberühmt machten:

den „Feuervogel“, „Petruschka“ und „Le Saere de Printemps“.)

Das von Bėla Balasz für Bartök geschriebene Libretto ist eine tiefenpsychologische Variante des bekannten weltliterarischen Themas. Judith ist freiwillig Blaubart auf sein Schloß gefolgt. Sie will Licht in die Finsternis der verschlossenen Gemächer — und in die noch unzugänglicheren Geheimnisse von Blaubarts Innerem — bringen. Vergebens warnt er sie, einen Schlüssel nach dem andern muß er ihr aushändigen, und sie öffnet: Blaubarts Folterkammer, seine Waffenkammer, die Schatzkammer, die Tür zu einem Wundergarten und die, welche den Blick auf eine weite Landschaft freigibt, die zum See der Tränen führt und schließlich die letzte, aus der Blaubarts ermordeten Frauen lebend hervortreten. Mit Krone und Mantel geschmückt, muß Judith ihnen ins Dunkel folgen. Blaubart bleibt allein zurück: ewig auch er im Dunkel und ln der Kälte seiner Einsamkeit.

Der symbolistische Text läßt verschiedene Deutungen zu und ist nicht leicht ins Szenische zu transponieren (wir hörten das Werk in Wien bisher nur konzertant). Alle Inszenierungen, die wir gesehen und von denen wir gehört haben — in Graz, auf westdeutschen Bühnen, in Basel, Zürich und Budapest — zeigen die sieben Türen nebeneinander, beziehungsweise im Halbrund angeordnet. Hierbei liegen die Schwierigkeiten für den Bühnenbildner auf der Hand. — Dietrich Haugk, der seit mehreren Jahren in der Josef- stadt inszeniert, aber zum erstenmal in der Volksoper Regie führt, geht einen anderen Weg: er zeigt vor jeder Szene eine sich symbolisch öffnende Tür und verdeutlicht dann die verschiedenen „Kammern“ durch Projektionen, während Blaubart und Judith im vorderen Teil der Bühne verharren, der in düsteren graubraunen Tönen gehalten ist. Nun wartet man, nach dem ersten großen Dialog, auf die Wunder einer imaginierten Welt. Aber sie bleiben leider aus. Hier könnte nur die Phantasie eines großen Malers, etwa eines Chagall oder Kokoschka, das der Musik Entsprechende hinzaubern, und dazu reicht es, naturgemäß, bei Günther Schneider-Siemssen nicht. Was wir zu sehen bekommen, ist recht dürftig, viel zu vordergründig und, leider, auch nicht sehr schön. Wenn zum Beispiel aus dem Orchesterraum die mächtigen Bläserfanfaren Schmetter, die das „weite Land“ illustrieren, zeigt das „Bühnenbild" (die Projektion) eine nüchtern-kahle Kraterlandschaft. Und statt der letzten Tür gibt es, mitten auf der Bühne, eine Art Versenkung: der Zugang zur Familiengruft. Herzog Blaubart und seine drei früheren Frauen waren von Ronny Reiter mit noblem Prunk, Judith unvorteilhaft gekleidet.

Die Musik Bartöks, wiederholt auch im Rundfunk zu hören, ist bekannt. Sie zeigt, neben zeitgebundenen impressionistischen Zügen, bereits die Handschrift eines genialen Musikers, und ihr ununterbrochener dunkler Strom, ihre eigenartigen glühenden Farben faszinieren immer wieder. _ Otto Wiener und Irmgard Seefried haben wir es zu danken, daß man fast jedes Wort ihres mehr als einstündigen Dialogs verstand. Herzog Blaubart rührt sich kaum von der Stelle, um so betulicher huscht und trippelt Judith auf der Bühne herum, läuft einmal, völlig sinnlos, eine Treppe hinunter, um ebenso sinnlos wieder heraufzurennen; sie ist im Ganzen viel zu geschäftig und äußerlich aufgeregt. — Ihr Part schien oft mehr deklamiert als gesungen. Mit dem großen, in allen Farben leuchtenden Orchester kann man die Solisten leicht zudek- ken, was Peter Maag am Pult auch einige Male tat. — Den von Fred Liewehr gesprochenen, durch Lautsprecher verstärkten Prolog und Epilog empfanden wir als entbehrlich.

Strawinskys erste Oper „Die Nachtigall“ kennen wir in Wien nur von einer konzertanten Aufführung im Musikverein, vor einigen Jahren. Die szenische Wiedergabe in der Volksoper kann als durchaus geglückt und dem Stil der Musik entsprechend bezeichnet werden. — Der frühen Musik des Vorspiels, das viel mehr nach Debussy als nach Rimski oder nach dem kurz darnach entstandenen „Feuervogel" klingt, entsprach ein in zarten Farben gehaltenes Bühnenbild mit Bergsee, Hütten und Booten. Die Pantomime des Fischers, der dem Gesang der Nachtigall lauscht, führte Frans Worisch aus. Dieser bringt die Nachtigall an den Hof des Kaisers. Jetzt wechseln Musik und Szene. Die poetische chinesische Landschaft verwandelt sich in den bizarren, von den Farben Rot und Gold beherrschten Prunk des Kaiserpalastes. Zu den Klängen eines chinesischen Marsches erscheint der Herrscher, und die Nachtigall erfreut sein Herz. Aber bald darnach wird die Ankunft dreier Gesandter des Kaisers von Japan gemeldet, die dem Kaiser von

China als Geschenk eine künstliche Nachtigall überreichen, die sogleich ihre seelenlosen Koloraturen hören läßt. Die echte Nachtigall entfliegt und wird verbannt. Die künstliche bekommt den Ehrenplatz am Kopfende des kaiserlichen Bettes. Doch der Kaiser erkrankt, der Tod bemächtigt sich der Fahne, der Krone und des Schwertes. Böse Geister ängstigen ihn. Da erklingt das Lied der echten Nachtigall, die zurückgekehrt ist und auch den Tod bezaubert. Der Kaiser gesundet, und die in feierlichem Zug nahenden Höflinge, die dem toten Kaiser die letzte Ehre erweisen wollen, empfängt er mit einem kräftigen: „Seid gegrüßt!“

Die Musik zu diesem prunkvoll- spektakulären zweiten Teil ist härter, greller und dissonanzreicher als die des Vorspiels. Hier klingen schon die russisch stilisierten „Noces“ (die Strawinsky zur gleichen Zeit, 1914, begann, aber erst neun Jahre später abschloß) sowie viel spätere Werke an. Die Hauptpartien — der Nachtigall und des Fischers, der auch als Erzähler fungiert — wurden von der anmutigen Colette Boky und dem jungen Adolf Dalla- pozza gesungen. Sie saßen oder standen links und rechts der Bühne in Proszeniumshöhe und sangen ihre überaus schwierigen Partien sicher und wohllautend in „Zivil“ aus Notenblättern. — Auch diese Verfremdung ist dem Werk und der Musik Strawinskys angemessen. Bei der Realisierung haben der Regisseur Peter Haugk, Schneider-Siems- sen als Bühnenbildner, Peter Maag als Dirigent und das Orchester der Volksoper sowie alle Rollenträger (Bonzen, Küchenmädchen, Kammerherr, Gesandter usw.) Vorzügliches geleistet. — Der Direktion der Volksoper aber ist für eine interessante Ausgrabung zu danken.

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