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Nicht-Auffiihrung war doch eine ?

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Durch ein Hintertürchen bei der Testaments-Auslegung kommt Fassbinders „Der Müll, die Stadt und der Tod“ nun mit großer Wahrscheinlichkeit doch noch auf die Bühnen.

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Durch ein Hintertürchen bei der Testaments-Auslegung kommt Fassbinders „Der Müll, die Stadt und der Tod“ nun mit großer Wahrscheinlichkeit doch noch auf die Bühnen.

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Die Bemühungen, die Frankfurter Uraufführung des Stückes „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder zu verhindern, waren wohl doch erfolglos. Sie wurde abgesagt, hat aber, wie sich zeigt, trotzdem stattgefunden. Damit kann der Frankfurter „Verlag der Autoren“ die Aufführungsrechte vergeben, wohin er will.

Es sei denn, er käme selbst zu einer anderen Schlußfolgerung. Verlage kommen aber von sich aus selten zu einer Rechtsansicht, die ihren kaufmännischen Interessen schadet.

Fassbinder traf vor seinem Tod eine mündliche Verfügung, „Der Müll...“ dürfe nur in Frankfurt am Main oder New York uraufgeführt werden. Die Unmöglichkeit, es anderswo zu spielen, bevor es in einer dieser Städte zu sehen war, war ein wichtiges Motiv der Bemühungen, die Uraufführung in den Frankfurter Kammerspielen zu verhindern.

Diese ist zwar geplatzt, doch tut sich die Möglichkeit auf, eine als „zweite Generalprobe“ bezeichnete geschlossene Vorstellung für die Kritiker rechtlich als Uraufführung zu betrachten. Wahrscheinlich kann niemand den Verlag daran hindern, nach seiner eigenen Rechtsansicht zu handeln. Er prüft derzeit die Situation.

Um so wichtiger ist es, zu wissen, was mit diesem Stück nun offenbar unaufhaltsam auf uns zukommt. Sicher wäre es abwegig, jedem, der für das Spielen ist, antisemitische Tendenzerrtu unterstellen. So leicht macht es uns Fassbinder nicht. Er war so wenig ein Antisemit wie Günther Rühle, der als Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gegen die Aufführung war und sie als neuer Theaterdirektor plötzlich für wichtig hielt.

Auch das Stück selbst ist nicht antisemitisch. Es trieft bloß von jener Spielart vermeintlicher Fortschrittlichkeit, die sich als Mäntelchen für höchst unfortschrittlichen Antisemitismus trefflich eignet.

Außerdem und vor allem aber ist es nicht nur ein widerwärtiges, sondern auch ein verquollenes, mißverstehbares, mißbrauchbares und darum gefährliches Theaterstück.

Die eine der beiden Zentralfiguren, der „reiche Jude“, ist Häusermakler und wird als einer von jenen gezeigt, die, so Fassbinder, „die Stadt zu Ungunsten der Lebensverhältnisse der Menschen“ verändern. Wäre das alles, wäre Fassbinder immer noch vorzuwerfen, daß es infam ist, die deutsche Grundstückspekulation in einem „reichen Juden“ zu personifizieren und sich eine PseudoLegitimation zu verschaffen, indem er die Handlung in Frankfurt ansiedelt, wo es zwei jüdische Grundstückspekulanten gibt. Neben Tausenden nichtjüdischen einzelnen und Hunderten Banken, Versicherungen, Baufirmen sind die Juden eine Mini-Minderheit.

Es ist aber nicht alles.

Fassbinder zeigt den „reichen Juden“ nicht nur als Spekulanten, sondern auch als Konsumenten der Prostitution und als Mörder einer Prostituierten, die er reich gemacht hat und deren Vater ihm unterstellt: „Er hebt dich empor, um mich zu erniedrigen.“ Betreffender Papa war nämlich ein Massenmörder.

Widerwärtige Klischees

Der Jude wird also in jeder Hinsicht mies gezeigt, als Spekulant, der die Stadt vernichtet, als rachsüchtig und als Mörder. Zuletzt wird eine aus unerfindlichen Gründen „Der kleine Prinz“ heißende Figur, die den „reichen Juden“ anzeigt, im Zimmer des Polizeipräsidenten (!) aus dem Fenster geworfen.

Fassbinder kann's: Er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Er personifiziert nicht nur die Grundstückspekulation und die Zerstörung der deutschen Städte, sondern auch die Korruption, alles Sich's-Richten, in der Figur eines Juden. Und putzt sich ab und behauptet, ganz im Sinn sonst in Wien lokalisierter Verhaltensweisen, er habe ja gar nix gegen den Juden, die Verhältnisse hätten ihn so gemacht, wie er, Fassbinder, ihn zeigt.

Wenn antisemitische Vorurteile bei Fassbinder ausscheiden, bleibt nur die nicht schmeichelhaftere Vermutung, er könnte eine erfolgsträchtige Kalkulation im Sinn gehabt haben.

Das Widerwärtigste sind nicht etwa die Szenen, in die er all die Drastik verpackt, auf die man derzeit in vielen Dramaturgien so geil ist, etwa die Folterung eines nackten Homosexuellen auf offener Bühne, so die Regie Fassbinders Anweisungen folgt.

Das Widerwärtigste ist die Methode, alle mörderischen Klischees zu bemühen und alsbald wieder zu relativieren, nichts auszusparen, einschließlich dessen, was primitiver Sexualneid angeblich auf den Juden projiziert, aber als vor nichts zurückschreckender Autor für alles ein Alibi parat zu haben.

Das Stück strotzt von Sätzen, die den „falschen Applaus“ geradezu provozieren, aber Fassbinder, der kann nichts dafür, er hat sie ja nur, „um bestimmte Zustände kritisierbar zu machen — für seine Figuren erfunden“.

„So denkt es in mir“, sagt eine davon. Ob „es“ nicht doch auch in Fassbinder so gedacht hat, ist nicht mehr wichtig. Offenbar denkt „es“ in unseren Landen in vielen so. Sie ducken sich nicht mehr, wenn auf der Bühne einer sagt, was man jetzt immer öfter wieder hört.

Fassbinder blieb seinen so redenden Figuren die Antworten schuldig. Das wird die, in denen „es“ so denkt, freuen. Wer „Der Müll...“ heute spielt, biedert sich an sie an.

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