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Poesie & Rationalismus

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Seit schon beinahe zehn Jahren blicken viele anspruchsvolle Architekten und Leute, die am Baugeschehen interessiert sind, nach Berlin. Die IBA — Internationale Bauausstellung Berlin—ist ja tatsächlich eines der wichtigsten und größten Planungs- und Bauexperimente einer europäischen Großstadt. Es galt, einmal nicht nur zu diskutieren, sondern auch zu bauen.

Wie es gelingen konnte, die Vertreter verschiedenster Architekturauffassungen mit weit auseinanderliegenden Grundeinstellungen im Rahmen der IBA doch auf einen Nenner zu bringen, wird nun in einem großzügig ausgestatteten Buch ausführlich dargestellt.

Der Planungsdirektor J. P. Kleihues hat für die vielen Wettbewerbe, die das Experiment einleiteten, ein hohes Ziel vorgegeben: Man sollte sich an die doppelte Bedeutung des Begriffes „Techne“ wieder erinnern: Die Technik ist wohl Instrument der Rationalität, aber zugleich auch“ spielerisch gelöster Ausdruck von Poiesis, schaffender Sehnsucht, die sich Form und Verbindlichkeit gibt. Es sollte also eine Architektur entstehen, die die Griechen „Welt“ nannten: eine Welt, die der Mensch als Spielender bewohnt und die sich in diesem Spiel als Verbindung von „poiesis“ und „lögos“ eröffnet.

Auf die Moderne, die Postmoderne und den Neoromantizismus folgt jetzt der in Berlin geborene „Poetische Rationalismus“. Das Ziel wurde zweifellos hoch gesteckt.

Ob es erreicht wurde? Im Buch wird jedenfalls eine ungeheure Vielzahl von Projekten vorgestellt. Prominente Namen aus der ganzen Welt — Namen wie James Stirling, Hans Hollein, Aldo Ros-si, Gustav Peichl, Arata Isozaki, Wühelm Holzbauer, Coop Himmelblau und andere - bürgen für Ernsthaftigkeit und Qualität. Nicht alle Entwürfe finden den Anschluß an das vorgegebene Ziel. Vieles ist Flucht in illusionäre Sphären, ist Kulisse, ist raffinierte Graphik. Es gibt aber auch aufregende ernste Projekte, bezaubernde kleine Welten. Wieweit in unserer schnellebigen Zeit ein endgültiges Urteil gefällt werden kann, bleibt offen. Wahrscheinlich müssen wir überhaupt lernen, auf dem Gebiet der Ästhetik ohne „Endgültigkeit“ leben zu können. Der Augenblick nimmt mehr und mehr an Gewicht zu.

Tatsache aber ist, daß in der IBA die Idee der „behutsamen Stadterneuerung“ wenn auch nicht geboren, so doch großflächig realisiert wurde, daß die Erfolge nicht zu übersehen sind und“ daß die „sanfte Stadterneuerung“ auch in Wien mit Rückblick auf die IBA anzulaufen beginnt. Mit diesem Buch wird aber gleichzeitig auch eine Dokumentation über das kaum mehr überschaubare Zeichenvokabular der Architekten aus aller Welt geliefert — eine erfreuliche Bereicherung.

INTERNATIONALE BAUAUSSTELLUNG BERLIN 1987. Beispiele einer neuen Architektur. Herausgegeben von Joseph P. Kleihues und Heinrich Klotz. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1987. 277 Seiten, 820 Färb- und 465 Schwarzweiß-Pläne, geb., öS 842,-.

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